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Vom Berliner Mietenvolksentscheid zum Kompromiss

Dieser Artikel ist eine Kopie eines Beitrags vom 12.01.2016 der Stadt-AG der Interventionistischen Linken im Original ist er unter http://www.interventionistische-linke.org/ zu finden.

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Entscheide mit… (Bild: https://mietenvolksentscheidberlin.de/)

Die mietenpolitische Bewegung in Berlin war seit Jahren nicht mehr so in der Offensive wie im Jahr 2015 mit dem Mietenvolksentscheid (MVE). Doch trotz realer Erfolge gibt es auch viel Ernüchterung. Die Beteiligung und die Dynamik waren anfangs großartig. Das Logo mit dem fröhlichen blauen Häuschen war überall zu sehen, und statt in sechs Monaten 20.000 Unterschriften konnte die Initiative bereits nach sieben Wochen 50.000 Unterschriften an die Senatsverwaltung übergeben. Doch nur knapp zweieinhalb Monate nach diesem fulminanten Start verkündete die Berliner Morgenpost: «Einigung könnte Mietenvolksentscheid überflüssig machen» (18.8.2015).

Auf Initiative der SPD wurde am 12.11.2015 im Berliner Abgeordnetenhaus das «Gesetz über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin» verabschiedet. Es beinhaltet unter anderem eine Mietensubvention für Haushalte im Sozialen Wohnungsbau, wenn die Nettokaltmiete mehr als 30% von Nettohaushaltseinkommen ausmacht. Außerdem werden mehr Kredite zur Schaffung von Sozialwohnungen zur Verfügung gestellt. Die Rückzahlungen werden wiederum in den Wohnungsbau gesteckt. Für die kommunalen Wohnungsunternehmen wird der soziale Versorgungsauftrag festgeschrieben und über Quoten zur Priorität erhoben. Erstmals wird auch eine Mietervertretung mit Stimmrecht im Aufsichtsrat dieser Wohnungsunternehmen sitzen.

Katerstimmung

Dennoch herrscht bei vielen Aktiven im Bündnis Katerstimmung. Das Abfanggesetz, mit dem die SPD der Initiative den Wind aus den Segeln nimmt, fällt deutlich hinter das zurück, was in ihrem Gesetzentwurf gefordert wurde. Noch viel weiter fällt es hinter die Gestaltungsmöglichkeiten des Senats zurück. Vor allem aber haben wir erlebt, dass über den MVE ein großes Potenzial an Selbstermächtigung und Organisierung von Mieterinnen und Mietern sichtbar wurde, das nun schon fast wieder verschwunden ist. Für uns schmeckt gerade deshalb der Erfolg etwas bitter.
Vor dem Hintergrund der realistischen Drohung einer Verfassungsgerichtsklage gegen das MVE-Gesetz wurden in Verhandlungen mit SPD und Senat die Inhalte des Abfanggesetzes festgelegt. Der Prozess wurde allerdings nie in einer Form rückgebunden, die es den Aktiven im Bündnis ermöglicht hätte, über das Vorgehen mitentscheiden zu können. Unserer Meinung nach hat man es am Ende nicht mehr geschafft, den Widerspruch zwischen konkreten Verbesserungen auf einem verrechtlichten Gebiet und dem langfristigen Aufbau von gesellschaftsverändernder Gegenmacht auszuhalten. Wäre dieser Widerspruch nicht einseitig aufgelöst worden, würden wir womöglich trotz der juristischen Drohung heute vor allem feiern.

Hohe Ziele

Mit dem MVE wollten wir als Interventionistische Linke und Teil des Bündnisses einen stadtweiten konkreten Erfolg erkämpfen, der Ausstrahlungskraft hat, Verdrängung zumindest abschwächt und eine Mieterbewegung stärker in die Offensive bringt. Wir haben in ihm das Potenzial gesehen, einen stadtweiten Akteur zu schaffen, der viele Kämpfe bündelt oder zumindest einen zentralen Bezugspunkt schafft. Das ist uns an vielen Stellen gelungen, auch wenn wir uns über eine breitere Kampagne und etwas mehr «Trittbrettfahrer» durchaus gefreut hätten. Über den MVE ließen sich viele Menschen erstmals oder nach längerer Zeit auch über den linksradikalen Tellerrand hinweg wieder ansprechen. Über den Aufbau von Kiezgruppen sollten neue lokale Punkte von Widerstand geschaffen werden. Schließlich wollten wir über die konkrete Antwort hinaus die Richtungsforderung der Vergesellschaftung stärken. Der Reiz eines Volksentscheids besteht gerade darin, dass sich Unmut über das Bestehende in einer Form äußern lässt, der für die Regierenden zu einem realen Problem werden kann. Gleichzeitig ist es ein politisches Instrument im Rahmen des Staates mit entsprechend vielen rechtlichen Hürden und Einschränkungen. Konkrete Veränderungen werden greifbar. Der Fluch besteht darin, dass diese in einen sehr engen rechtlichen Rahmen eingepasst werden müssen, wenn eine Alternative durchgesetzt werden soll. Das verleitet schnell dazu, die rechtlichen Grenzen gar nicht erst auszureizen oder auf geheime Verhandlungen zu setzen, wenn der juristische Druck zu hoch wird. Doch damit schränkt man die Potenziale eines Volksentscheids wieder ein. Ziel dieses Instruments muss für uns sein, das Machtpotenzial einer kollektiven Intervention für viele erfahrbar zu machen. Steht aber die konkrete gesetzliche Antwort und ihre Durchsetzung zu stark im Vordergrund, erleben nur diejenigen die Möglichkeit der Veränderung, die viel juristische Expertise haben und sich auch in Verhandlungen behaupten können. Andere können dann nur mitlaufen und sehen am Ende die Macht wieder bei Experten, statt bei sich selbst. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen werden affirmiert. Dies verkleinert mittelfristig den Rahmen des Veränderbaren statt ihn zu vergrößern.
In einem Spannungsfeld zwischen einem Bewegungsprojekt, dass die Stadtgesellschaft mobilisiert, und einem autonomen Akteur, der eine konkrete Antwort auf die Frage der sozialen Wohnraumversorgung liefert, handlungsfähig zu bleiben, stellt eine große Herausforderung dar. Der MVE hat es häufig nicht geschafft, eine Ausgewogenheit zwischen diesen Polen des Spannungsfelds herzustellen. Eine breite, anknüpfungsfähige Kampagne im Rücken des MVE hat gefehlt. Stattdessen hat man sich zu stark auf juristische und verwaltungstechnische Argumentationen konzentriert. Dies hat es erschwert, mit weitergehenden Forderungen praktisch und diskursiv an den MVE anzuknüpfen und gemeinsam eine Vision der Stadt von morgen zu zeichnen.
Daraus folgte, dass der MVE als Sprecherin der stadtpolitischen Bewegung gehört wurde, dies im Handeln der Initiative aber selten eine Rolle spielte. Folgerichtig wurde die Bedeutung der Gespräche für andere Initiativen selten reflektiert, geschweige denn diese in eine strategische Bestimmung mit einbezogen. In Zukunft müssen auch wir stärker darauf achten, dass ein Projekt mit großer Ausstrahlungskraft, das seine Stärke aus den vielfältigen Interessen einer Bewegung gewinnt, diese ernst nimmt, ohne dabei handlungsunfähig zu werden.

Blick in die Zukunft

Trotz allem bildet der MVE immer noch einen Bezugspunkt für viele in der Stadt. Will man den Spalt für Veränderungen nutzen, müssen wir weitermachen und aus unseren Fehlern lernen. Nur wenn wir die geschilderten Widersprüche im Kopf und praktisch aushalten, wird es sowohl weitreichende konkrete Veränderungen, als auch tiefergreifende Potenziale durch Bewegungsaufbau geben.
Nächstes Frühjahr wollen wir daher mit vielen Initiativen, Mieterorganisationen, Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften darüber reden, wie eine weitere stadtweite Intervention, in der wir uns mit unseren unterschiedlichen Praxen einbringen können, für Berlin aussehen kann. Der Kampf um ein Recht auf Wohnraum für alle geht weiter.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der „Sozialistischen Zeitung“, Ausgabe 12/2015

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Der Mietenvolksentscheid: Druck wirkt! Der Kampf geht weiter

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Dieser Beitrag ist ein Beitrag der Initiative Mietenvolksentscheid und wurde erstveröffentlicht auf der Seite https://mietenvolksentscheidberlin.de/.

Liebe 50.000 Unterstützer*innen, liebe Berliner Stadtgesellschaft,

Am 12. November wird im Abgeordnetenhaus über das neue Wohnraumversorgungsgesetz abgestimmt, welches die SPD als Antwort auf unseren Mietenvolksentscheid verfasst hat. Nach einigen Wochen der Auswertung und Diskussionen wollen wir nun Bilanz ziehen und unsere Einschätzung dazu abgeben.

Das Gesetz, das der Senat nun dem Abgeordnetenhaus vorgelegt hat, verdeutlicht eines sehr klar: der politische Druck der Berliner Stadtgesellschaft hat gewirkt! Nur durch den Druck jahrelanger stadtpolitischer Kämpfe und letztendlich der knapp 50.000 Unterschriften hat sich im Senat etwas bewegt. Nur dadurch hat die SPD die Forderungen unserer Initiative zum Mietenvolksentscheid teilweise aufgegriffen und in Gesetzesform gebracht. Und nur dadurch hat sich die CDU dazu bewegen lassen, diesen Schritt mitzugehen. Die vielen Unterstützer*innen, welche sich eine einseitige Wohnungspolitik für Investor*innen nicht länger gefallen lassen wollen, konnte der Senat nicht mehr ignorieren.

Die beschränkten Mittel unseres Volksentscheids

Im Unterschied zum Berliner Senat waren unsere gesetzlichen Möglichkeiten, mit dem Volksentscheid umfassend in die Wohnungspolitik einzugreifen, von vornherein sehr eingeschränkt. Um die Verdrängung und steigenden Mieten in Berlin zu stoppen, sind vielfältige Maßnahmen nötig, wie zum Beispiel eine Korrektur der unsozialen Förderlogik des Kostenmietsystems, oder das Verbot der Zweckentfremdung von Miet- und Ferienwohnungen. Durch das sogenannte Kopplungsverbot (verschiedene Regelungsgegenstände dürfen in einem Volksentscheid nicht gemeinsam zur Abstimmung gestellt werden) war es uns jedoch unmöglich, diese vielfältigen Maßnahmen in einem Volksbegehren zusammen zu fassen. Für Mehrheitsbeschlüsse im Abgeordnetenhaus gelten diese Einschränkungen nicht. Damit könnten viel umfassendere Mittel eingesetzt werden, um eine wirklich soziale Wohnungspolitik in Berlin zu erreichen. Hätte die Regierungsmehrheit die Probleme der Stadt wirklich verstanden und wäre sie willens diese anzugehen, dann hätte sie längst umgesetzt, was für eine soziale Lösung der Berliner Wohnungsfrage notwendig wäre:

  • Verdrängung durch Modernisierung verhindern
  • Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentums- und Ferienwohnung beschränken
  • Erweiterung des kommunalen sozialen Wohnungsbau um wirklich bezahlbaren Wohnraum für deutlich unter 6,50€/m² zu schaffen
  • Grundlegende Änderung des absurden Kostenmietensystems im Sozialwohnungsbestand
  • Bei Erteilung von Baugenehmigung die privaten Bauherren stärker in die soziale und ökologische Verantwortung für die Stadt zu ziehen

Ein erster Schritt in die richtige Richtung

Da dies mit unserem Mietenvolksentscheid nicht einfach umgesetzt werden konnte, war immer klar, dass das Volksbegehren nur ein erster Schritt sein kann. Mit diesem Schritt haben wir viel bewegt. Die SPD hatte seit der Jahrtausendwende den Anspruch auf eine soziale Gestaltung des Wohnungsmarktes aufgegeben. Sie sah sich aber durch unsere Initiative gezwungen, eine sozialere Ausrichtung der Wohnraumversorgung durch die landeseigenen Unternehmen mit einem eigenen Gesetz auf den Weg zu bringen.

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