Dieser Artikel erschien im Blog vom Hände weg vom Wedding.
Eine Woche vor den Wahlen in Berlin, startete am Samstag den 10. September 2016 eine Demonstration unter dem Motto “Mietenstopp – Gemeinsam gegen Verdrängung, Verarmung und den Ausverkauf der Stadt” vom Platz der Luftbrücke. Etwas mehr als 1000 Menschen darunter viele Nachbar*innen organisiert und engagiert in verschiedenen Initiativen, Gruppen, Vereinen und Bündnissen nahmen zu Beginn an dem Protest teil. Viel weniger allerdings als bei der letzten Mobilisierung im Jahr 2011. Die Gründe hierfür sind sicherlich vielfältig und gehören solidarisch analysiert und diskutiert. Einen Beitrag dazu soll diese Auswertung leisten.
Zum ersten Mal wurde aus einem spontanen Bündnis heraus zusätzlich zu einem Mietrebell*innen Block unter dem Motto “Berlin macht’s selber – Solidarisch, antikapitalistisch, selbstorganisiert.” aufgerufen. Bereits beim Auftakt wurde deutlich wie vielfältig die lokalen stadtpolitischen Kämpfe und Organisierungsprozesse verlaufen und sich aktuell zusammensetzen.
Jede Initiative stellte ihren Kampf in ihrer Betroffenheit in der gegenwärtigen neoliberalen Stadtpolitik durch eigene Plakate, Schilder, Flyer, T-Shirts, Transparente und Redebeiträge dar. Die Wohnungspolitik hat sich zumindest vereinzelt und angetrieben durch vergangene beispielhafte Kampagnen und Aktionen wie diverse Mietenproteste, Mietenvolksentscheid, Blockaden von Zwangsräumungen, Widerstand in der Rigaer Straße etc., zu einem Motor der Selbstorganisierung unter den Mieter*innen dieser Stadt entwickelt. Wir als selbstorganisierte Mieter*innen verschiedenster Gruppen im Mietrebell*innen Block sehen diese Entwicklung positiv und betonen noch einmal das Potential lokaler Basisorganisierung in den Wohngemeinschaften, Wohnheimen, Lagern, Mietshäusern, Straßen und Kiezen gegen Verdrängung, soziale Ausgrenzung und Rassismus. Als organisierte Zusammenhänge sehen wir es als Erfolg an, gemeinsam an dieser Demonstration mit den uns zur Verfügung stehenden Kapazitäten und Möglichkeiten mobilisiert und teilgenommen zu haben. Einerseits mit dem Ziel den sehr guten Aufruf des Demobündnisses zu unterstützen sowie unsere eigenen Organisierungsprozesse untereinander zu verbessern. Das Ziel jedoch ist sicherlich die Sichtbarkeit und Ansprechbarkeit für alle Betroffenen im gemeinsamen Protest zu gewährleisten. Ein Protest von Mieter*innen für Mieter*innen, als Ausgangslage für Widerstand und Alternativen in diesem verlogenen Wahlzirkus.
Leider weisen wir selbstkritisch darauf hin das die Mitgestaltung des Mietrebell*innen Block im Vorbereitungsbündnis der Demonstration näher und direkter erfolgen muss. Viele technische und kommunikative Probleme hätten so vermieden werden können. Respekt an alle Aktivist*innen für den solidarischen Umgang. Weiterhin stellen wir fest, dass es neben einem Bedarf an einer grundsätzlichen Diskussion über Aktionsformen wie Demonstrationen sich auch die Frage gestellt werden muss, wie kann die Vielfältigkeit der Berliner Kieze im stadtpolitischen Bewegungen besser angesprochen, abgebildet und eingebunden werden?
Diese Frage sehen wir als eine der essentiellsten für die Zukunft rebellischer Kieze im Widerstand gegen die Angriffe vom Senat, Polizei, Spekulant*innen, Investor*innen und der Lagerindustrie. Im Zuge dieser Frage müssen wir dringend gemeinsam greifbare lokale Perspektiven für eine Stadt von Unten formulieren, die nicht nur einen weiteren symbolischen Akt zum Konsumieren befördert, sondern eine wirkliche Teilhabe an einer konkreten gesellschaftlichen Praxis als Lösung dieser strukturellen Bedrohung bietet. Eine Demonstration kann kein Ersatz sein für die konkrete Arbeit von Initiativen und Gruppen in der Kommune, die dann natürlich vereint und daraus gestärkt eine kollektive Praxis finden müssen.
Trotz Sommer und Reiselust konnten wir viele Genoss*innen am Samstag begrüßen, sogar eine Delegation der japanischen Gewerkschaft Doro-Chiba nutzte den Aufenthalt in Berlin um sich am Protest zu beteiligen. Die Solidarität mit den seit zwei Monaten in U-Haft gefangenen Aaron und Balu und den kurdischen Aktivisti*innen in der JVA-Moabit, war eines der zentralen Elemente des Blocks. Abgesehen von der schwachen virtuellen Mobilisierung, dem viel zu kurzen Mobilisierungszeitraum und einem, im Gegensatz zu 2011, stark von Wohnungspolitik dominierten Wahlkampf, ist die generelle Beteiligung an der Demonstration auch ein gutes Spiegelbild über die Situation der Berliner Organisierungsfrage verschiedenster linksradikaler Gruppen mit basisorganisatorischen Ansätzen. Eine gemeinsame Praxis sollte konkret praktiziert werden und nicht nur eine hohle Phrase sein. Das Bündnis um den Mietrebell*innen Block will daran weiter arbeiten, die Zusammenarbeit punktuell verstärken und die Gemeinsamkeiten zu anderen Mobilisierungen und Kampagnen suchen. Natürlich auch um der Kriminalisierung und Spaltung von sich organisierenden Mieter*innen durch die Berliner Polizei, mit übergreifender Solidarität verschiedenster Kämpfe begegnen zu können. Wir stellen nicht erst seit diesem Protest ein besonderes Interesse der “Strafverfolgungsbehörden” fest, um eben genau diese Prozesse einzuschüchtern.
Nach den vielen vollmundigen Slogans, geheuchelter Betroffenheit und Wahlversprechen in Sachen Wohnungspolitik aus Richtung der Parteienvertreter*innen in den letzten Wochen, sehen wir uns weiterhin bestätigt und in der Pflicht, jenseits von Parlamenten eine solidarische und antikapitalistische Antwort auf die Frage: “Wem gehört die Stadt?” zu formulieren. Schauen wir uns an, was und für wen gebaut wird! Wie entfremdet die politischen Machthaber*innen von der Realität sind, bezeugt eine Aussage des Baustadtrates von Berlin-Mitte, Carsten Spallek (CDU). So sagte er dem Lokalblatt “Berliner Woche”, dass Mitte beim Wohnungsbau “spitze” sei und der neu geschaffene Wohnraum “den Verdrängungsdruck auf die angestammte Bevölkerung vermindern” würde (sic!). Frecher oder dämlicher scheint es kaum zu gehen, wenn wir uns die Privatisierungen kommunalen Wohnungsbaus, sowie die kontinuierliche Errichtung von Luxus-Appartements in diesem Bezirk vor Augen führen. Die Parteien werden ihre Versprechen nicht einhalten (können). Nur wir selber können gemeinsam die Lösung sein.
Beteiligte Gruppen:
Kiezladen Friedel 54
Radikale Linke | Berlin
Hände weg vom Wedding
Klassenkampf Block Berlin