Zwischen Aufbruch und Zerfall – Wohin treibt die unabhängige Mieter*innenbewegung?

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Außerparlamentarisch, gegen die Parteien, selbstorganisiert, raus aus der Vereinzelung, wieder sichtbar werden. Unter diesem Motto wollten Miet- und Stadtteilaktivist*innen an die große Mietendemonstration aus dem Jahre 2011 anknüpfen und gegen die herrschende Wohnungspolitik ein Zeichen setzen. An der Demonstration nahmen nach Angaben auf der Webseite rund 1.200 Menschen aus den unterschiedlichen Spektren der Bewegung teil. Es war, wie es in einer ersten Einschätzung heißt „ein buntes Miteinander von Mieter*innengemeinschaften, Nachbar*innen, Rentner*innen, stadtpolitisch Aktiven, Linksradikalen und vielen mehr…“

Den Eindruck eines „letzten Aufbäumens der Bewegung“ – wie es einige im Vorfeld unkten – hat es nicht unbedingt nicht gemacht. Genauso weit entfernt ist sie allerdings von dem, was vielleicht als neuer Ansatz, Weiterentwicklung oder Eröffnung einer Perspektive bezeichnet werden kann. In Vielem spiegelt sie den Stand der unabhängigen Mieterinnen-Bewegung wider, einer Bewegung zwischen Stagnation und Zerfall.

Fehlende Unterstützung und Boykott

Als sich nach jahrzehntelangem Stillstand vor sieben Jahren meist unter Initiative und Beteiligung von Kämpfer*innen vorangegangener Bewegungen in einzelnen Stadtteilen Mieter- und Stadtteilgruppen gründeten, war das Bedürfnis nach einem Austausch und einer Zusammenarbeit groß. Es gelang, wenn auch nicht immer, so doch in Ansätzen, Strategien und Ziele zu bestimmen und kollektive Aktionen zu organisieren. Gemeinsam war die Haltung, dass von „der Politik “ nicht viel zu erwarten ist und nur die Selbstorganisation und eigene Vertretung von Interessen hilft. Kiezspaziergänge und Stadtteilversammlungen wurden auch von Initiativen anderer Stadtteile unterstützt. Die Demonstration aus dem Jahre 2011 war ein Ausdruck dieser Zusammenarbeit.

Heute sind die meisten Stadtteilinitiativen kaum noch existent. Überlebt haben Gruppen, die sich meist einzelnen Vorhaben widmen. Einige davon, wie die Mietergemeinschaft Kotti & Co, benutzen heute Proteste gegen die herrschende Politik in ihren Absprachen und Gesprächen mit Politik und Verwaltung als Verhandlungsmasse. Seinen Einfluss hatte dies auch auf die angesprochene Demonstration. Ein Teil der stadtpolitischen Gruppen wie die Interventionistische Linke (IL) boykottierte die Durchführung und schickte in den Vorbereitungskreis und auf die auf die Route nur Beobachter*innen. Das Projekt Demonstration stand mehr als einmal auf der Kippe. Es wurde nur von sehr wenigen Menschen getragen und viel weit hinter die eigenen Ansprüche zurück. Größere Mobilisierungen und andere Formen einer Öffentlichkeitsarbeit haben im Vorfeld nicht stattgefunden. Die dann stattgefundene Demonstration war zwar ein Abbild der bestehenden Kämpfe und Auseinandersetzungen in dieser Stadt; die Aktivist*innen der unabhängigen Initiativen waren meist vertreten. Eine darüber hinausgehende Mobilisierung fiel nicht auf einen fruchtbaren Boden oder wurde von den einzelnen Gruppen, manchmal aus Unwillen, manchmal aus Arbeitsüberlastung, nur im geringen Ausmaß betrieben.

Beziehungsloses Nebeneinander statt Zusammenarbeit

Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht in der Presse über Schweinereien von Eigentümer*innen und den Widerstand von Bewohner*innen gegen Zwangsräumungen, energetische Maßnahmen, Luxusmodernisierungen und andere Formen der Verdrängung berichtetet wird. Die Ergebnisse sind auch gar nicht so schlecht, wenn die stadtpolitischen Auseinandersetzungen der letzten 10 Jahre betrachtet werden. Tempelhof 100, Volksentscheid für die Offenlegung der Verträge beim Verkauf der Wasserbetriebe, Carloft, Rigaer Straße 94, dies sind jetzt nur ein paar Beispiele. In einer Reihe von Fällen wurde dem erklärten Willen nahezu aller Parteien von einer breiten Mehrheit eine Abfuhr erteilt und beispielsweise die geplante Bebauung verhindert oder die Rekommunalisierung von öffentlichen Betrieben durchgesetzt. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Resultate mehr das Ergebnis einer zielgerichteten Kampagne von einzelnen Gruppen mit zahlreichen oder einzelnen Aktivist*innen als dem gemeinsamen Handeln von großen Teilen einer Bewegung geschuldet sind.

Nach der faktischen Auflösung von Vernetzungsstrukturen gelingt es immer wieder, Ereignisse und Themen am gleichen Tag stattfinden zu lassen. Da werden dann mal nach einer langen Phase der Ruhe und des Stillstands in der äußerst übersichtlichen stadtpolitischen Szene gleich zwei Ausstellungen am gleichen Tag eröffnet, zur gleichen Stunde Kiezspaziergänge oder Veranstaltungen durchgeführt.

Für Prozesse einer Selbstorganisierung können Volksbegehren sogar schädlich sein, wie das völlig ignorierte und kaputt verhandelte Ergebnis des Bürgerentscheids Media-Spree und der gescheiterte „Mietenvolksentscheid“ zeigt. Mit einer Täuschung und Verneblung der Resultate wurde hier „Vertreter*innen“, „Sprecher*innen“ und ehemaligen Aktivist*innen eine – manchmal sogar führende – Rolle am Tisch von Politik und Verwaltung verschafft.

Eine Dynamisierung hat nicht stattgefunden

Auch in Phasen einer relativen Stärke mussten Initiativen eine Erfahrung machen, die sie mit Erfahrungen vergangener Jahrzehnte eint: „Die Mietkampagne erwies sich jedoch, gemessen an unseren Erwartungen, als Schlag ins Wasser, trotz vereinzelten Widerstandes kamen wir zu der Überzeugung, dass die Kampagne an den Bedürfnissen und dem Bewusstsein der Mieter vorbeigegangen sei. Ein anderer Grund wurde darin gesehen, dass die Mieter viel zu ohnmächtig und hilflos sind aufgrund ihrer Isolation und gegenseitigen Abgeschlossenheit, ihrer fehlenden Solidarität,“ heißt es in einem Bericht  über die Arbeit einer Neuköllner Stadtteilgruppe aus den 70er Jahren. Diese Bemerkungen lassen sich auch 40 Jahre später problemlos übertragen.

Die faktische oder angenommene gemeinsame Betroffenheit von Verdrängung führte nur in seltenen Fällen zu einem gemeinsamen Handeln. Oft genug mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass die Individualisierung weiter vorangeschritten ist und von Gentrifizierung bedrohte Mieter*innen eine Unterstützung und Mobilisierung lediglich für die Verbesserung der eigenen Verhandlungsposition nutzten oder sich keinesfalls solidarisch gegenüber anderen Benachteiligten wie beispielsweise Geflüchteten zeigten. Die kleinteilige Stadtteil- und Basisarbeit erfuhr nur einen geringen Zulauf und wurde in der Regel von wenigen Aktivist*innen getragen. Breiter angelegte Versuche zur (Selbst-)Organisierung der Mieter* innen von Taekker- und GSW-Häusern oder gegen das Eigentum gerichtete Kampagnen blieben erfolglos oder bereits in Ansätzen stecken. Wenn sich überhaupt noch „Erfolge“ erzielen lassen, beschränken sich diese auf die punktuelle Durchsetzung von Forderungen. Hier mal die Verlängerung eines Mietvertrages für ein Hausprojekt, dort mal die Aussetzung oder Aufhebung einer Räumung. Zerrieben zwischen einer „linken“ Mittelschicht, die sich mit eigentumsorientierten Baugruppen weiter in der Verdrängung von Armen und Schwachen übt, zwischen Vertreter*innen von Parteien und anderen Gruppierungen, die in ihrer Beteiligung an Initiativen meist eigene Interessen verfolgen und dem Desinteresse und zunehmenden Rassismus eines großen Teils der Bevölkerung, gelingt es meist nur noch, Aktionen zur Verteidigung von Räumen und Projekten der eigenen Subkultur zu organisieren. Die Solidarität ist dann am größten, wenn es dem eigenen Projekt oder Verein an den Kragen geht.

Weiter so – Einheit in der Vielfalt ?

Es bedarf keiner prophetischen Höchstleistungen, um vor dem Hintergrund der jetzigen R2G-Regierung einen weiteren Zerfall der stadtpolitischen Szene zu prognostizieren. Mit der Stärkung des Vorkaufsrechts in Milieuschutzgebieten im besonderen und genossenschaftlichen Ansätzen im Allgemeinen, der Erhöhung von Zuschüssen für Mieter*innen im Sozialen Wohnungsbau, der angestrebten Rekommunalisierung von einstmals öffentlichem Eigentum, der Begründung von zahlreichen „Modellprojekten“ u.a.m. wurden in einzelnen Bereichen Forderungen von Mieter- und Stadtteilinitiativen in die Vereinbarungen zwischen den Regierungsparteien aufgenommen. Auch wenn es hierbei nur um Absichtserklärungen handelt, ist damit zu rechnen, dass das eine oder andere Vorhaben realisiert und künftig einige Initiativen mit der Betreuung „ihrer“ Projekte wie der „Bewohnergenossenschaft Kottbusser Tor“ oder dem „Modellprojekt Dragoner-Areal“ ausgelastet sein werden. Sie werden sich damit vorwiegend der Lobbyarbeit widmen, in der (stadt-)politischen Versenkung verschwinden und allenfalls noch von sich hören lassen, wenn es mit der Umsetzung hapert, also Anspruch und Wirklichkeit doch nicht so recht zusammenpassen. Damit werden sie, wie die zahlreichen, im Umfeld der stadtpolitischen Szene tätigen Genossenschaften und Verbände oder die in den vorangegangenen Jahrzehnten besetzten und legalisierten Hausprojekte zu den Gewinnler*innen der zarten Flamme „Mieter*innen-Bewegung“ gehören.

Eine zunehmende Anzahl von anderen Initiativen wird, vom kollektiven Gedächtnisschwund befallen und dabei die Erfahrungen mit 10 Jahren rot-roter Regierung ignorierend, sich wieder an den politischen Parteien abarbeiten und versuchen, in Verhandlungen mit hohem Aufwand die Vertreibung zu verhindern, ihr Wohnhaus zu vergesellschaften, ihr „Projekt“ zum Abschluss zu bringen. In einigen Fällen wird dies vielleicht gelingen, in den meisten allerdings nicht. Sie werden hierbei wieder mal die Erfahrung machen, dass trotz der Besetzung von leitenden Posten mit bewegungsnahen Personen der Druck zur Verwertung des Kapitals zu hoch und der Einfluss „der Politik“ zu niedrig ist, dass auch die jetzige politische Strategie allenfalls einer sozialdemokratischen Politik im besseren Sinne gleichkommt.

Und was machen wir als anti-autoritäre Linke, denen es nicht um um eine Klientel-Politik, sondern eine Stärkung der Selbstorganisation und der Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse geht? Wir können so weiter machen wie bisher, uns weiterhin der kleinteiligen Arbeit widmen, die eine oder andere Aktion organisieren, wie im Hamsterrad von Räumung zum nächsten Treffen, der nächsten Versammlung, der nächsten Demonstration hetzen, bis wir vor Erschöpfung zusammenbrechen. Oder wir versuchen, an einzelnen Stellen, den „Widerstand zu entfachen“ und den Willen der politischen Parteien zur Änderung von Verhältnissen zu testen und übersehen dabei wie in den vergangenen Jahrzehnten, dass es hierfür eine soziale Basis benötigt.
Wir könnten uns auch wieder vermehrt der subkulturellen Identitätspolitik hinwenden und mit noch stärkerem Einsatz „unsere“ Projekte und Räume verteidigen. Dies kann sicherlich mehr Spaß machen, als sich um eine Formulierung von Anliegen in einer verständlichen Sprache zu bemühen. Oder wir beteiligen uns an einer „zentralen Kampagne“ unter der sinnleeren Formel eines „Berlin für Alle“, die geflissentlich übersieht, dass es überhaupt nicht um ein „Berlin für Alle“ einschließlich der Hauseigentümer*innen, Investor*innen, der eigentumswütigen „linken Mittelschicht“ und allen anderen geht, die auf eine Verdrängung der Armen pfeifen. Wir werden uns aber auf keinen Fall, gleichsam den  70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts an einer von einer Politsekte organisierten Initiative wie der „Bethanien-Kampagne“ oder an einem Projekt einer ähnlich autoritär und kadermäßig organisierten Organisation wie der Berliner Mietergemeinschaft beteiligen. So oder so. Die Diskussion ist eröffnet.

Einige Aktive aus Initiativen

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