Dieser Beitrag ist ein Beitrag der Initiative Mietenvolksentscheid und wurde erstveröffentlicht auf der Seite https://mietenvolksentscheidberlin.de/.
Liebe 50.000 Unterstützer*innen, liebe Berliner Stadtgesellschaft,
Am 12. November wird im Abgeordnetenhaus über das neue Wohnraumversorgungsgesetz abgestimmt, welches die SPD als Antwort auf unseren Mietenvolksentscheid verfasst hat. Nach einigen Wochen der Auswertung und Diskussionen wollen wir nun Bilanz ziehen und unsere Einschätzung dazu abgeben.
Das Gesetz, das der Senat nun dem Abgeordnetenhaus vorgelegt hat, verdeutlicht eines sehr klar: der politische Druck der Berliner Stadtgesellschaft hat gewirkt! Nur durch den Druck jahrelanger stadtpolitischer Kämpfe und letztendlich der knapp 50.000 Unterschriften hat sich im Senat etwas bewegt. Nur dadurch hat die SPD die Forderungen unserer Initiative zum Mietenvolksentscheid teilweise aufgegriffen und in Gesetzesform gebracht. Und nur dadurch hat sich die CDU dazu bewegen lassen, diesen Schritt mitzugehen. Die vielen Unterstützer*innen, welche sich eine einseitige Wohnungspolitik für Investor*innen nicht länger gefallen lassen wollen, konnte der Senat nicht mehr ignorieren.
Die beschränkten Mittel unseres Volksentscheids
Im Unterschied zum Berliner Senat waren unsere gesetzlichen Möglichkeiten, mit dem Volksentscheid umfassend in die Wohnungspolitik einzugreifen, von vornherein sehr eingeschränkt. Um die Verdrängung und steigenden Mieten in Berlin zu stoppen, sind vielfältige Maßnahmen nötig, wie zum Beispiel eine Korrektur der unsozialen Förderlogik des Kostenmietsystems, oder das Verbot der Zweckentfremdung von Miet- und Ferienwohnungen. Durch das sogenannte Kopplungsverbot (verschiedene Regelungsgegenstände dürfen in einem Volksentscheid nicht gemeinsam zur Abstimmung gestellt werden) war es uns jedoch unmöglich, diese vielfältigen Maßnahmen in einem Volksbegehren zusammen zu fassen. Für Mehrheitsbeschlüsse im Abgeordnetenhaus gelten diese Einschränkungen nicht. Damit könnten viel umfassendere Mittel eingesetzt werden, um eine wirklich soziale Wohnungspolitik in Berlin zu erreichen. Hätte die Regierungsmehrheit die Probleme der Stadt wirklich verstanden und wäre sie willens diese anzugehen, dann hätte sie längst umgesetzt, was für eine soziale Lösung der Berliner Wohnungsfrage notwendig wäre:
- Verdrängung durch Modernisierung verhindern
- Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentums- und Ferienwohnung beschränken
- Erweiterung des kommunalen sozialen Wohnungsbau um wirklich bezahlbaren Wohnraum für deutlich unter 6,50€/m² zu schaffen
- Grundlegende Änderung des absurden Kostenmietensystems im Sozialwohnungsbestand
- Bei Erteilung von Baugenehmigung die privaten Bauherren stärker in die soziale und ökologische Verantwortung für die Stadt zu ziehen
Ein erster Schritt in die richtige Richtung
Da dies mit unserem Mietenvolksentscheid nicht einfach umgesetzt werden konnte, war immer klar, dass das Volksbegehren nur ein erster Schritt sein kann. Mit diesem Schritt haben wir viel bewegt. Die SPD hatte seit der Jahrtausendwende den Anspruch auf eine soziale Gestaltung des Wohnungsmarktes aufgegeben. Sie sah sich aber durch unsere Initiative gezwungen, eine sozialere Ausrichtung der Wohnraumversorgung durch die landeseigenen Unternehmen mit einem eigenen Gesetz auf den Weg zu bringen.
Von einem Richtungswechsel, der sich von der profitgetriebenen Wohnungspolitik der vergangenen Jahrzehnte abwendet, kann dabei noch keine Rede sein. Denn der Senat hat sich nur genau so weit bewegt, wie er sich durch uns gezwungen sah und keinen Schritt weiter. Würde sich die SPD als wohnungspolitischer Akteur ernst nehmen, hätte sie unser Gesetz, dass mit den Beschränkungen eines Volksentscheids geschrieben wurde, zum Ausgangspunkt für ein umfassendes Gesetz zur sozialen Wohnraumversorgung gemacht. Genau das hat sie aber nicht gemacht.
Das Gesetz, das der Senat nun als Antwort auf unseren Mietenvolksentscheid vorgelegt hat, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, auch wenn es auf viele der drängendsten Probleme der Wohnungspolitik keine Lösungen bietet:
Zum Wohnraumförderfonds:
Mit der Einrichtung eines revolvierenden Wohnraumförderfonds wollten wir einerseits die Mieten in öffentlich geförderten Wohnungen orientiert am Einkommen der Mieter*innen senken, neuen bezahlbaren Wohnraum schaffen und ankaufen als auch warmmietenneutrale Modernisierungen fördern. Durch das Senatsgesetz wird nun tatsächlich ein revolvierender Fonds geschaffen, welcher unabhängig vom Landeshaushalt ein Sondervermögen umfasst, das ausschließlich für Neubau, Ankauf und Modernisierungen genutzt werden darf. Die Schaffung eines solchen Instruments ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Die Ausstattung des Fonds und der Umfang der Programme bleiben allerdings mangelhaft. So hat der Senat in den Fonds in erster Linie sein umfangreiches Neubauprogramm einfließen lassen. Die Mittel für Ankauf und Modernisierung fallen dagegen zu gering aus. Die einkommensorientierte Förderung im Neubau wird den Regelungen des Neubauförderprogramms des Senats von 2015 folgen. Dieses sieht eine durchschnittliche Subvention der Mieten auf 6,50 €/m² vor. Zwar reicht dies aus, um die Kosten der Unterkunft von Transferleistungsempfänger*innen nicht zu überschreiten, aber für Menschen mit geringem Einkommen wird auch dies weiterhin zu viel sein. Insgesamt lässt sich erst mit der Verabschiedung des Gesetzes eine detaillierte Bewertung der Wirkungsweisen des Wohnraumförderfonds vornehmen, da die meisten Regelungen durch Ausführungsbestimmungen anschließend geregelt werden und die zusätzlichen Gelder für neue Programme jeweils erst jedes Jahr durch die Landeshaushalte beschlossen werden.
Zur Mietensubvention:
Um die Verdrängung aus dem Sozialen Wohnungsbau aufzuhalten, muss mehr passieren als eine unzureichende Subvention der Miete für Haushalte mit geringen Einkommen. Deshalb stellt die Mietensubvention des Volksentscheids auch nur eine Übergangslösung dar. Das Grundproblem der exorbitant hohen Mieten im Sozialen Wohnungsbau liegt in der absurden Förderlogik des Kostenmietensystems. Ein Verbund von Baufirmen und Immobilienwirtschaft hat auf Kosten einer sozialen Wohnungspolitik viel Geld verdient. Die Baukosten wurden künstlich so hochgetrieben, dass die rechtlich zulässige Miete deutlich über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt, manchmal bei bis zu 18 € je m². Dieses System muss grundlegend überprüft und verändert werden, um die Verdrängung von Menschen mit geringem Einkommen aus dem Sozialen Wohnungsbau wirklich aufzuhalten. Dies hätte ein Volksentscheid nicht gekonnt, sehr wohl aber der Senat und das Parlament. Doch seit Jahrzehnten fehlt der politische Wille dafür.
Mit ihrem Gesetz will die SPD nun eine Subvention von Mieter*innen einführen, die nur einen Teil der Mieter*innen direkt entlasten wird, aber für viele jedoch nicht weit genug geht. Zwar darf jetzt die Nettokaltmiete im Sozialen Wohnungsbau für Mieter*innen mit geringen Einkommen nicht mehr als 30% des Nettoeinkommens ausmachen. Auch die Bruttokaltmieten von Transferleistungsbezieher*innen in Sozialwohnungen werden jetzt ausgeglichen, wenn sie die Höchstgrenze der Kosten der Unterkunft nach der AV Wohnen überschreiten.
Rechnet man zur Kaltmiete allerdings Betriebs- und Nebenkosten hinzu, bleibt gerade für Geringverdienende zu wenig zum Leben übrig. Hinzu kommt, dass der Zuschuss zur Miete auf 2,50 €/m² begrenzt ist. Das Gesetz muss hier dringend verbessert werden. Die Kappung auf 30% des Haushaltseinkommens muss sich auf die Bruttowarmmiete beziehen und darf nicht begrenzt werden.
Neuerdings soll die IBB künftig im Staatsauftrag jährlich ein Fünftel der Sozialwohnungen darauf hin überprüfen, ob die Miete und die Betriebskostenabrechnung richtig berechnet sind und ob Vermieter*innen die notwendige Instandhaltung vornehmen lassen. Diese Überprüfung ist zu begrüßen, da gerade im Bestand des sozialen Wohnungsbaus Instandhaltungsmängel bestehen und die Betriebskosten oft genau so hoch sind wie die Kaltmiete.
Falls die Bearbeitung des Mietzuschuss-Anträge seitens der Mieter*innen vom Senat an private Dienstleister übertragen werden sollte, fordern wir stattdessen eine bessere Personalausstattung von Bezirks- und Senatsverwaltungen zur Bewältigung dieser öffentlichen Aufgabe.
Zu den Landeswohnungsunternehmen:
Im Gesetzentwurf des Mietenvolksentscheids ist eine Neuausrichtung der sechs kommunalen Wohnungsbaugesellschaften als Anstalten öffentlichen Rechts (AöR) vorgesehen. Das Ziel dieser rechtlichen Umwandlung ist ein gemeinwohlorientierter Umgang mit landeseigenem Wohnraum ohne Gewinnausschüttung und mit Mitbestimmung der Mieter*innen. Das Senatsgesetz sieht hingegen keine Umwandlung der Landeswohnungsunternehmen (LWU) vor, diese bleiben vielmehr Kapitalgesellschaften, allerdings jetzt mit zwei zentralen Aufgaben: dem Versorgungsauftrag, vor allem benachteiligte Gruppen am Wohnungsmarkt mit Wohnraum zu versorgen, und die Bereitstellung preisgünstigen Wohnraums für breite Schichten der Bevölkerung.
Die Zahl der besonders reservierten Wohnungen für Flüchtlinge, Obdachlose, betreutes Wohnen etc. wurde nun erhöht, wenn auch immer noch entschieden zu wenig. Eine Gewinnausschüttung an das Land wird künftig ausgeschlossen. Zusätzlich wird eine Dach-AöR zur Beratung und Kontrolle des Auftrags der LWU eingerichtet. Allerdings werden ihr keine gesetzlichen Sanktionsmaßnahmen zur Verfügung gestellt. Die AöR eröffnet den politischen Raum der öffentlichen Diskussion für eine Strategiebestimmung aller Wohnungsunternehmen und erschwert künftig den Verkauf einer LWU, weil zwei Personen aus dem Verwaltungsrat dies verhindern können. Jedoch bleibt sie eine beratende Instanz, deren Entscheidungen nicht bindend sind. Damit bleibt dem Senat die Aufgabe überlassen, diese in den LWU umzusetzen. Die neue Steuerungsebene kann jedoch durch die öffentlichen Beschlüsse und den Fachbeirat zu einer größeren Kontrolle der LWU durch Mieter*innen und Öffentlichkeit führen. Sie darf aber nicht bei reinen Diskussionsrunden ohne Auswirkungen stehenbleiben. Darüber hinaus fehlt im Verwaltungsrat der AöR eine Mieter*innen-Vertretung und dass er öffentlich tagt.
Auch im Punkt der Demokratisierung der LWU fällt das Gesetz der SPD hinter unsere Mietenvolksentscheid-Initiative zurück. Positiv zu bewerten ist, dass Gesamtmieter*innenräte für jede LWU eingerichtet werden sollen und es erstmalig eine Mieter*innenvertretung im Aufsichtsrat der LWUs gibt. Dabei sollten aber die bestehenden Mieter*innenbeiräte auch im Gesamtmieter*innenrat vertreten sein.
Bei genauerem Hinsehen entstehen allerdings Zweifel an der Wirksamkeit dieser Mitbestimmung, denn in dem neun-köpfigen Aufsichtsrat ist neben fünf Senatsvertreter*innen und drei Belegschaftsvertreter*innen nur eine Person aus der Mieter*innenschaft mit Stimmrecht und ein Gast vorgesehen. Dies schafft zwar eine formelle Beteiligung und ermöglicht erstmals überhaupt einen Ansatz von Mitbestimmung für die Mieterschaft in den LWU. Um jedoch in diesem Gremium strukturell Gehör zu finden oder gar Mehrheiten bilden zu können, muss noch mehr getan werden. Denn Mitbestimmung stellen wir uns anders vor.
Um die Miethöhe in den LWUs zu regulieren, darf laut Gesetzentwurf des Senats die Miete in vier Jahren nicht mehr als 15% steigen. Damit wird das Mietenbündnis des Senats mit seinen Wohnungsbaugesellschaften in gesetzliche Form gefasst. Die sehr engen Wohnflächenbegrenzungen aus dem Mietenbündnis werden in das Senatsgesetz übernommen und sind restriktiver als die künftigen Regeln für den Sozialen Wohnungsbau. Genauso wie im Sozialen Wohnungsbau wird die Nettokaltmiete für Mieter*innen mit Wohnberechtigungsschein bei 30% ihres Netto-Haushaltseinkommens gekappt. Auch hier gilt, dass die Grundlage für eine Kappung der Miete die Bruttowarmmiete und nicht die Bruttokaltmiete sein muss.
Letztlich werden Zwangsräumungen nicht wie im Gesetzesentwurf der Initiative Mietenvolksentscheid für Transferleistungsbezieher*innen grundsätzlich ausgeschlossen sein. Jetzt wird geregelt, dass durch umfassende Beratungen und bei Abtretung der Einkommensansprüche an die LWU von Räumungen abgesehen werden kann. Sollte es zur Räumung kommen, muss Ersatzwohnraum innerhalb der Bestände der LWUs angeboten werden. Auch wenn diese Regelung Zwangsräumungen erheblich erschweren kann, so reicht eine „Kann-Regelung“ an dieser Stelle bei weitem noch nicht aus. Im Kampf gegen Zwangsräumungen muss somit in Zukunft auf die Einhaltung dieser Regelung gepocht werden, bis ein Verbot gesetzlich verankert wird.
Ebenso sollte es laut Entwurf der Initiative einen Verzicht auf Schufa-Auskünfte als Voraussetzung für Mietverträge geben. Nun wird geregelt, dass keine Ablehnung von Mieter*innen allein aufgrund eines negativen Bonitätsnachweises geben darf. Wir fordern weiterhin, dass die LWU künftig keine Bonitätsauskünfte mehr einholen dürfen.
Die Umsetzung dieses Gesetzes muss außerdem demokratisch kontrolliert werden. Dafür ist bisher kein Begleitgremium vorgesehen, das z.B. überprüft, ob die Subventionen überhaupt den Mieter*innen nützen. Wenn das Parlament den Geist des Mietenvolksentscheides aufnehmen will, muss die demokratische Begleitung dieses Gesetzes im selbigen verankert sein.
Die nächsten Schritte
Unsere Position war es immer, für Gespräche mit allen Verantwortlichen und Interessierten offen zu sein. Dass die SPD auf Grundlage der Gespräche ein Gesetz auf den Weg bringt, das im Widerspruch zu ihrem sonstigen neoliberalen Kurs steht, ist der Erfolg der Initiative Mietenvolksentscheid und der Zehntausenden von Unterstützer*innen. Auch dass das Gesetz im Rahmen unserer weitaus günstigeren statt der übertriebenen Kostenschätzung des Senats bleibt (MVE = 1,15 Mrd. €; Senat = 3 Mrd. €), finden wir richtig. Die im Wohnraumversorgungsgesetz der SPD enthaltenen Erleichterungen für einen Teil der Sozialmieter*innen und die Verbesserungen bei den LWU begrüßen wir. Von einer „Einigung“ oder einem „Kompromiss“ kann jedoch keine Rede sein. Was auch letztendlich am 12. November im Abgeordnetenhaus beschlossen wird: wir werden uns damit nicht zufrieden geben können. Gemeinsam mit den wohnungs- und stadtentwicklungspolitischen Initiativen und Bewegungen begreifen wir uns im Konflikt mit den Verantwortlichen und kämpfen weiter gegen die unsoziale Berliner Wohnungspolitik und gegen die weiter gehende Verdrängung durch steigende Mieten.
Auch wenn der Senat sein verfassungsrechtliches Gutachten zu der Gesetzesinitiative des Mietenvolksbegehrens weiterhin zurück hält, ist das Ergebnis über inoffizielle Wege schon längst bekannt: Unser Gesetzesentwurf müsste in einem teuren und jahrelangen Rechtsstreit vor dem Landesverfassungsgericht verhandelt werden. Die Entscheidung darüber wird laut Abstimmungsgesetz der Senat treffen. Wir warten immer noch auf das Ergebnis. Über unsere eigenen, weiteren Schritte können wir als Initiative Mietenvolksentscheid erst nach der Entscheidung des Abgeordnetenhauses über das Wohnraumversorgungsgesetz am 12. November entscheiden. Eines ist jedoch jetzt schon klar:
Eine soziale Wohnungspolitik kann nach wie vor nur von Unten durch eine selbstbestimmte Berliner Stadtgesellschaft durchgesetzt werden. Von den Regierungsparteien SPD und CDU allein ist hier nicht viel zu erwarten. Was auch immer das Jahr 2016 den Berliner Mieter*innen bringen wird: der Mietenvolksentscheid 2015 ist erst ein Anfang. Wir werden an die erfolgreichen Erfahrungen im Kampf für ein soziales und demokratisches Berlin anknüpfen.
Dieser Beitrag ist ein Beitrag der Initiative Mietenvolksentscheid und wurde erstveröffentlicht auf der Seite https://mietenvolksentscheidberlin.de/, wir Reihen hiermit in die Eröffnung der Debattenreihe auf wirbleibenalle.org ein. Wir sind offen für alle Themen- und Artikelvorschläge und weitere Positionen zum Mietenvolksentscheid. Schreibt uns. – Kontakt: kontakt@wirbleibenalle.org
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