Quelle: neues deutschland
Damit ihre Häuser abgerissen werden können, müssen Bewohner der Beermannstraße ihre Wohnungen räumen. Nicht blaue, sondern gelbe Briefe erhielten Treptower Mieter vom Senat. Der Inhalt ist in jedem Falle sehr folgenreich.
Unangenehme Post in Form gelber Briefe aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung erhielten dieser Tage die letzten Mieter in der Treptower Beermannstraße 20 und 22. Die beiden Häuser nahe des S-Bahnhofes Treptower Park stehen dem Bau der Stadtautobahn A 100 im Wege und sollen abgerissen werden. Den Mietern wurde bereits gekündigt, doch zehn Parteien wollen nicht weichen und haben Widerspruch eingelegt.
Deshalb kündigte ihnen jetzt die Behörde ein sogenanntes vorzeitiges Besitzeinweisungsverfahren an. Dessen Ziel ist es, das Verfahren zu beschleunigen und die Übergabe der Wohnungen noch in diesem Jahr zu erreichen. Mit diesem Instrument aus dem Baurecht verlieren die Mieter zahlreiche Rechte. So kann jederzeit ein Gerichtstermin innerhalb von zwei Wochen angesetzt und die Übergabe der Wohnungen innerhalb von sechs Wochen nach Urteil erzwungen werden. »Damit droht uns noch vor Winterbeginn der Wohnungsverlust«, empört sich Benjamin Sauer, einer der betroffenen Mieter. Er fühlt sich unter Druck gesetzt, weil die Stadt die Räumung so kostengünstig wie möglich haben wolle.
»Mit unserem Rauswurf sollen Tatsachen geschaffen werden, die nicht mehr rückgängig zu machen sind«, sagt Sauer. »Wir werden auf die Straße gesetzt, und dann wird erst geklärt, ob das überhaupt rechtmäßig war.«
Es gibt erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorgehens. Die »vorzeitige Besitzeinweisung« wird bei Projekten »des besonderen öffentlichen Interesses« in der Regel gegen Eigentümer von Gebäuden eingesetzt. Eigentümer der Häuser ist bereits das Land Berlin, das damit jetzt gegen renitente Mieter vorgeht. Ob sich mit diesem Trick das Mietrecht aushebeln lässt, ist bei Juristen umstritten. Präzedenzfälle gibt es in Berlin keine.
In E-mails von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wurden die Mieter zudem darauf hingewiesen, die Häuser bis zum 31. Oktober zu verlassen. Dass noch kein Räumungstitel vorliegt, also noch kein richterlichen Beschluss, stört die Verwaltung nicht. Gleichzeitig wird das Leben in den Häusern unmöglich gemacht. Mal werden als Abrissvorbereitung Außenwände durchbohrt, mal das Wasser abgestellt. Und obwohl der Senat weiterhin die Miete kassiert, werden dringende Reparaturen in den Wohnungen verweigert.
Im Januar hatte Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) versprochen, dass die Mieter, bei denen sich »die Wohnraumsuche schwierig gestaltet«, unterstützt werden. Davon haben sie bisher nicht viel gemerkt. Insbesondere auf die Ersatzwohnungen, bei denen die »Differenz zwischen neuer und alter Miete entweder gar nicht besteht oder nur sehr gering ist«, warten sie bisher vergeblich. »Uns wurden Wohnungen angeboten, deren Miete zwischen 70 und 120 Prozent über dem lagen, was wir in der Beermannstraße bezahlen«, so Sauer. Allerdings ist die Miete derzeit mit unter vier Euro pro Quadratmeter auch sehr günstig. Zudem liegen die angeboten Wohnungen meist nicht im selben Kiez, sondern in Köpenick, Adlershof oder Schöneweide. Sauer: »Wir wollen uns nicht aus unserem sozialen Umfeld reißen lassen.«
Darüber hinaus stehen die Mieter mit den Kosten alleine da. Zwar gibt es eine Umzugspauschale, die zwischen 600 und 800 Euro liegt, außerdem kann ein »Gardinengeld« für Anpassungsmaßnahmen in der neuen Wohnung beantragt werden, das aber auf 600 Euro beschränkt ist.
Sauer frägt, warum die Häuser in der Beermannstraße ausgerechnet jetzt abgerissen werden müssen, »wenn sie sich doch erst auf dem letzten Bauabschnitt des Teilbereichs des Ausbaus der A 100 liegen?« Antworten bekam er bisher keine, nur einen gelben Brief.