Ein Kommentar von Katrin Lompscher im Neuen Deutschland
»Olympia? Lasst es einfach sein. Es gibt Wichtigeres zu tun.« Mit diesen Worten haben sich Ende August etliche stadtpolitische Initiativen zu Wort gemeldet, von den Prinzessinnengärten bis zum Mietenpolitischen Dossier. Was gibt es Wichtigeres? Wo will Berlin hin und was braucht Berlin – insbesondere als wachsende Stadt, die auch zukünftig eine soziale Metropole sein soll? Die Perspektive Berlins als eine sozial ausgleichende, wirtschaftlich aufstrebende, finanziell solide und ökologisch modellhafte Stadt zu beschreiben, dürfte kaum Widerspruch provozieren. Kann Olympia dafür nützen oder schadet es eher?
Mit großen Worten werden derzeit die Chancen durch Olympia beschworen, von den Risiken ist weniger die Rede, schon gar nicht von den entmündigenden Geschäftspraktiken des IOC. Berlin ist schon jetzt ein Anziehungspunkt für Menschen aus aller Welt. Die Berlinerinnen und Berliner leben gern in ihrer Stadt und wollen sich das auch künftig leisten können. Das wird auch ohne Olympia nicht leichter. Die Olympische Idee verdient weiterhin Respekt und Unterstützung, die Olympische Praxis hingegen scharfe Kritik und Veränderung.
Olympia wäre nicht nur ein finanzieller Kraftakt für unsere hochverschuldete Stadt. Olympia würde Ressourcen binden, die für andere dringende Vorhaben dann nicht zur Verfügung stünden. Sei es für die Sanierung und den notwendigen Ausbau von Kitas, Schulen und öffentlichen Einrichtungen, sei es für die Reparatur maroder Brücken und Straßen, sei es für den Bau bezahlbarer Wohnungen oder für die Förderung von Bildung, Wissenschaft und Kultur. Alles das braucht Berlin – dringender denn je.
Olympische Spiele prägen das Gesicht der ausrichtenden Stadt. Und sie verändern das sozialräumliche Gefüge nicht nur in den betroffenen Stadtteilen, weil sie Aufwertung und Verdrängung verstärken oder sogar auslösen. Dieser Prozess ist in allen Ausrichterstädten der letzten Jahre zu beobachten, ob in Barcelona oder London. La Barceloneta am Meer war vorher Wohnort der kleinen Leute und der Fischer, heute kann sich niemand mit normalen Einkommen dort eine Wohnung leisten, die nördlich angrenzenden Stadtteile entlang der Küste sind durchsaniert und längst von Gutbetuchten besiedelt.
Für den Londoner Osten verfolgte die konservative Stadtregierung eine aktive Aufwertungsstrategie, weil im Rest der Stadt kaum mehr Anlagemöglichkeiten für das marodierende Kapital zu finden sind. In London ist es längst normal, dass Menschen mit weniger Geld weit außerhalb wohnen. Diese Entwicklungen sind keine bedauerlichen und unbeabsichtigten Nebenwirkungen, sie sind die logische Folge der kommerziellen Metamorphose des IOC und der assistierenden herrschenden Politik.
Olympische Spiele sind teuer und mindestens eine Nummer zu groß für Berlin. Der wachsende Gigantismus verbunden mit ökologischen Folgeschäden und beschleunigter Gentrifizierung ist angesichts der Vorgaben des IOC unausweichlich. Olympische Spiele heute sind ein gigantisches Geschäft, das einen entsprechenden Rahmen für sich beansprucht. Die Städte verkaufen sich für die Dauer der Spiele an das IOC. Mit der Praxis der Host-City-Verträge gilt in den Austragungsorten eine temporäre Rechtsgrundlage, es wird für die Zeit der Spiele ein »Olympia-Gesetz« erlassen. Es werden Bannmeilen errichtet, in denen nur das IOC bestimmt und kassiert. Statt wenigstens monetär teilzuhaben an der umstrittenen Eventisierung der Stadt, müssen überteuerte Lizenzen für alles Mögliche erworben werden.
Die Berlinerinnen und Berliner haben mit dem Volksentscheid zum Tempelhofer Feld ein klares Zeichen für Bürgerbeteiligung und Stadtentwicklung von unten gesetzt. Die vom Senat gestartete Olympiadebatte ist mehr als ein politischer Reflex auf die Klatsche bei diesem Volksentscheid. Gemeinsam mit dem jüngst vorgestellten Stadtentwicklungskonzept (StEK) Berlin 2030 folgt sie der Wettbewerbslogik im globalen Städteranking. Recht auf Stadt ist aber nicht nur das Recht auf selbstbestimmtes und bezahlbares Wohnen. Es ist auch das Recht die Stadt selbst (mit) zu gestalten.
Deshalb keine Megaprojekte, die nur Wenigen nutzen, das Gemeinwohl schwächen und den sozialen Zusammenhalt gefährden. Und um zum Schluss nochmal die stadtpolitischen Initiativen zu zitieren: »Das Berlin von Morgen machen wir alle!«