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Aufwertung, Verdrängung und Widerstand – Das Fassadenbild „Berlin not for Sale“ zeigt aktuelle stadtpolitische Auseinandersetzungen in Kreuzberg.
An einer Hausfassade nahe des Görlitzer Bahnhofs in Kreuzberg entstand im Sommer 2014 ein stadtpolitischen Wandbild, das die aktuellen Auseinandersetzungen um Aufwertung, Verdrängung und Widerstand in diesem Berliner Stadtteil darstellt.
Gestaltet wurde das Fassadenbild von den Kollektiven Pappsatt, orangotango und Memfarado. Das Motiv wurde in einem gemeinsamen Prozess mit den BewohnerInnen des selbstverwalteten Hausprojekts Manti 39 entwickelt. Die Wand stellte eine alternative Kreuzberger Genossenschaft zur Verfügung.
Der Realisierung des Wandbildes war ein Kartierungsworkshop mit Jugendlichen aus Kreuzberg vorausgegangen. In einer Karte des Stadtteils wurden Orte der profitorientierten Stadtgestaltung (wie z.B. das Mediaspree-Projekt), sowie Orte der Gegenwehr gegen diese Entwicklungen zusammengetragen. Am Beispiel des Bezirks Kreuzberg visualisiert das Projekt, wie und wo sich Protest-Initiativen auf unterschiedlichste Art und Weise gegen Privatisierung und Verdrängung zur Wehr setzen: mit Mieten-Protesten, Lärmdemonstrationen, Haus- und Platzbesetzungen, Blockaden von Zwangsräumungen, nachbarschaftlichem Gärtnern und anderen Mitteln der Aneignung städtischen Raums.
Das Ergebnis dieser „Untersuchung“ ist nun nicht nur öffentlich an einer Kreuzberger Fassade zu sehen: Zur Einweihung des Wandbilds wird die Karte des Workshops auch als gedruckter Stadtplan veröffentlicht.
Der Release wird am Freitag, den 12.9.2014 ab 19 Uhr mit allen beteiligten Initiativen auf dem Spielplatz Manteuffel-/Naunynstrasse gefeiert.
präsentiert von reclaimyourcity.net
und berlin-besetzt.de
Die dargestellten Motive von unten rechts im Uhrzeigersinn:
– Die versuchte Räumung der Gerhardt-Hauptmann-Schule. Das Gebäude in der Ohlauerstr. ist seit Ende 2012 von Geflüchteten und illegalisierten MigrantInnen besetzt, die u.a. für ein Bleiberecht in Deutschland kämpfen. Während des Räumungsversuchs verschanzten sich die AktivistInnen auf dem Dach der Schule.
– Die Hausgemeinschaften rund um den Heinrichplatz. Einige davon sind genossenschaftlich selbstverwaltet.
– Das Spreeufer: Trotz erfolgreichen Bürgerentscheids gegen das Investorenprojekt Mediaspree werden die Grundstücke entlang der Spree weiter verbaut. Freifläche geht verloren, stattdessen kommerzielle Größenwahnprojekte hochgezogen.
– Das Kottbusser Tor: Seit Mitte 2012 wehren sich die BewohnerInnen der Hochhäuser am Kotti unter anderem mit ihrem Gecekondu – einer dauerhaften Besetzung im öffentlichen Raum – gegen die steigenden Mieten in ihren ehemaligen Sozialwohnungen.
– Der Oranienplatz wurde von Geflüchteten am Ende eines Protestmarschs quer durch Deutschland besetzt und unter leeren Versprechungen des Senats im April 2014 geräumt. Hier steht heute noch ein Informationszelt, das auf die Situation von Geflüchteten und illegalisierten MigrantInnen in Deutschland und an Europas Außengrenzen aufmerksam macht.
– Am Bethaniendamm befindet sich zwischen Rauchhaus und Bethanien der Gemeinschaftsgarten Ton-Steine-Gärten. Die Freifläche daneben ist außerdem als Carlo-Giuliani-Park bekannt.
– Das angeschnittene Feld soll das Carloft in der Reichenberger Strasse darstellen. Hier wurden Luxuswohnungen gebaut, bei denen es den EigentümerInnen möglich ist, ihr Auto mit in die Wohnung zu nehmen. Dies ist nur der Gipfel von Perversion, der sich angesichts des angepannten Wohnungsmarktes in Berlin im Bereich Luxusmodernisierung und Privatisierung abspielt.
– Das Eckfeld ist die Cuvrybrache, eine der letzten frei zugänglichen Flächen an der Spree auf der Kreuzberger Seite. Hier wohnen mittlerweile etwa 130 AussteigerInnen, Obdachlose, AbenteurerInnen und andere, die sonst in der kapitalistischen Stadt keinen Platz finden – ein Vorort der Zukunft?
– Die Lausitzerstraße ist ein Symbol für den Kampf gegen Zwangsräumungen in Berlin. AktivistInnen versuchten die geplante Zwangsräumung einer Familie zu blockieren. Zunächst erfolgreich, die Polizei schaffte es erst in einem zweiten Anlauf mit einem Großaufgebot von Beamten die Wohnung einzunehmen und die seit Jahren dort lebende Familie auf die Straße zu setzen.
– In der Manteufelstrasse eröffnete neulich ein teures Vier-Jammer-Zeiten-Hotel. Hoho!
– Die Köpi ist eins der bekanntesten besetzten Häuser in Berlin. Seit Anfang der 1990er Jahren verweigert sich das selbstverwaltete Kulturzentrum jeder kommerzieller Verwertung.
– Die Markthalle in der Eisenbahnstraße steht einerseits für gesunde Ernährung und andererseits für extreme Preise.
– Der Wagenplatz Lohmühle befindet sich am Ende des Görlitzer Parks auf der Treptower Seite des Kanals.
Making of: Kreuzberg-Wandbild
Endlich: Nach monatelangem Hickhack mit der Behördenbürokratie (Grünflächenamt, Ordnungsamt, Bauamt, Kommission für Kunst im öffentlichen Raum…) projizieren wir an einem Freitag Abend im Juli das Bild in drei Ausschnitten an die Wand. Klappt das mit der Verzerrung? Samstag beginnen wir erst mittags und machen malen nach Zahlen: Jeder Farbton ist eine Tour über das anskizzierte Bild, jede Fläche ist definiert. Wir malen bis zur Dunkelheit, FreundInnen kommen vorbei und bauen auf dem Spielplatz einen Grill auf. Der Rucola und das Grillgemüse kommt aus einem Gemeinschaftsgarten auf dem Tempelhofer Feld.
Der Sonntag beginnt früher: immer abwechselnd in 2er-Teams malen wir am Bild, der Steiger steht nicht still. Die Anderen mischen Farben an und schaffen kühle Getränke ran, es ist heiß.
Das Motiv schält sich immer klarer heraus, PassantInnen stoppen und interessieren sich. Die Straßennamen bringen Klarheit, schließlich mit Dose die Outline um alles. Die Oma, die auf den Graffitis stehend mit einer Ultra-Wide-Sprühdose über das „Berlin for Sale“ sprayt, machen wir im Scheinwerferlicht fertig.
Der Boden schwankt jedes mal wenn wir nach einer zweistündigen Tour an der Hausfassade entlang wieder unten ankommen. Der Gleichgewichtssinn wird weiterhin auf die Probe gestellt, als wir nach der Fertigstellung des Wandbilds am Sonntag Abend drei Flaschen Sekt kappen und anstoßen … ein langwieriger Prozess findet seinen finalen Ausdruck.
P.S.: Leider haben wir den Görlitzer Park nicht als Spielfeld in das Wandbild eingebaut. Den Druck, dem Dealer gerade rund um den Park und den U-Bahnhof ausgesetzt sind, konnten wir vom Steiger aus live miterleben…
pappsatt, september 2014