(Auszug aus einem Artikel in der Extra-Ausgabe der Neuköllner Stadtteilzeitung RandNotizen zum Tempelhofer Feld, hier als PDF)
Die Senatspläne, Volksbegehren und der Unsinn der Bebauung
Bei der Abstimmung am 25. Mai wird von Senatsseite so getan, als ob es um die Zukunft der Wohnungspolitik in Berlin gehen würde. Der Landesvorsitzende der Berliner SPD Jan Stöß tätigte in diesem Zusammenhang die Aussage „Berlin braucht bezahlbare Wohnungen, keine Blockade“ (Tagesspiegel 28.01.2014). Der Berliner Senat droht, dass bei einem Erfolg des Volksbegehrens 100 Prozent Stillstand bevorstehen würden. Nicht nur der Senat sondern auch der Berliner Kurier macht kräftig Stimmung, „100 % Tempelhofer Feld = 100 % Egoismus“ (Berliner Kurier 03.02.2014). Der Vorstand der BerlinBrandenburgischen Wohnungsunternehmen (BBU) Maren Kern äußerte nach der Zulassung des Volksbegehrens verärgert: „Das Ergebnis ist eine bittere Pille für alle, die bezahlbares Wohnen für Berlin wollen.“ Schon während der Unterschriftensammlung für das Volksbegehren wurden auf dem Tempelhofer Feld große Schilder aufgestellt, die mit der Kernaussage drohten, dass bei einem Erfolg des Volksbegehrens „dringend benötigte Wohnungen nicht gebaut werden (dürfen)“.
Trotz dieser Drohkulisse hat es die Kampagne 100 % Tempelhofer Feld geschafft, genügend Unterschriften zu sammeln, so dass am 25. Mai 2014 die Abstimmung über die Zukunft des Tempelhofer Feldes stattfinden kann. Der SPD Landesvorsitzende Jan Stöß gibt sich kämpferisch: „Wir haben die besseren Argumente, wenn es darum geht, das Tempelhofer Feld behutsam und im Sinne aller Berlinerinnen und Berliner weiterzuentwickeln. Deshalb freuen wir uns auf die Diskussion“. (Tagesspiegel 28.01.2014). Der Stadtentwicklungspolitiker und stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion Stefan Evers plädiert dafür der Bürgerbeteiligung breiten Raum zu geben: „Wir setzen uns dafür ein, dass die Planungen weiter mit intensiver Bürgerbeteiligung erfolgen. Es gibt noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten.“ (Tagesspiegel 28.01.2014). Diese Überzeugungsarbeit scheint jedoch nicht einmal im Abgeordnetenhaus zu fruchten. Nachdem keine Einigung mit der Opposition möglich war, verabschiedete der Senat mit den Stimmen der Koalition am 20.03.2014 im Abgeordnetenhaus einen eigenen Gesetzentwurf zur Zukunft des Tempelhofer Feldes. Grüne, Linke und die Piraten wollen stattdessen bei der Wahl am 25. Mai die Initiative gegen eine Bebauung unterstützen.
Die Pläne des Senats
Nach den Vorstellungen des Berliner Senats soll das als „Tempelhofer Freiheit“ bezeichnete Projekt der Randbebauung des Tempelhofer Feldes ein Vorbild für die Stadt von morgen sein. Laut dem Leitbild soll dieser Ort eine Bühne des Neuen sein, die umliegenden Quartiere integrieren, für einen Dialog der Religionen stehen, Sport und Gesundheit fördern und Wissen und Lernen ermöglichen. In der Mitte des Feldes sollen 230 Hektar frei bleiben. Am Rand sollen Wohnungen, Gewerbefläche, Kitas, eine Schule, Gesundheitseinrichtungen, die Zentrale Landesbibliothek (ZLB), Freizeiteinrichtungen, Radund Fußwege neu entstehen. Auf der Seite des Tempelhofer Damms sollen 1.330 Wohnungen realisiert werden, am Quartier des Südrings sind 1200 Wohnungen geplant und am Quartier an der Oderstraße besteht die Möglichkeit, 1.660 Wohnungen zu errichten. Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) betonte in einem Interview mit der Berliner Zeitung am 31.01.2014, dass ganz konkret mehr neue, kleine, bezahlbare Wohnungen gebraucht werden. Laut den Plänen des Senats sollen im neu entstehenden Quartier am Tempelhofer Damm zwei städtische Wohnungsbaugesellschaften und eine Genossenschaft bis zu 1.700 Wohnungen mit mindestens 50% „bezahlbaren Wohnungen“ mit einer Kaltmiete zwischen 6-8 €/m² für kleine und mittlere Einkommen errichten. Dieses Vorhaben ist jedoch mit Blick auf die Misere des Berliner Wohnungsmarktes keine Lösung für Menschen mit geringen Einkommen zu sein, die immer mehr Schwierigkeiten haben, preisgünstigen Wohnraum zu finden: 6-8 €/m² kalt ist für viele eben nicht bezahlbar. Misstrauen ist auch angesagt, weil in dem Gesetzentwurf des Senats keine Rede ist von 5000 neu zu errichtenden Wohnungen, auch fehlt eine genaue Zahl über die geplanten Wohnungen mit angeblich sozialverträglichen Mieten. Die Senatskampagne für bezahlbare Wohnungen wird umso fraglicher, da die Pläne neben 460.000 m² für Wohnraum auch rund 400.000 m² Gewerbefläche vorsehen und das bei einem Leerstand von rund 9% der übrigen Gewerbeflächen in Berlin.
Laut „Stadtentwicklungskonzept 2030“ geht der Senat von einem Wachstum der Berliner Bevölkerung um ca. 200.000 Personen bis 2030 aus. Allein in den letzten 11 Jahren ist die Bevölkerung Berlins um 96.000 Personen gewachsen. Nicht allein die Zuwanderung treibt jedoch den Wohnungsmarkt, sondern viel mehr, dass es immer mehr Einpersonenhaushalte in dieser Stadt gibt. Das ist schon länger der Fall und wurde vom Senat jahrelang willentlich verschlafen. Die Kehrseite davon ist, dass wiederum Menschen mit niedrigem Einkommen mit immer mehr Menschen in kleineren Wohnungen leben müssen.
Nach den Plänen des Berliner Senats soll im Wettbewerb der Stadtregionen Berlin anziehend bleiben, für Familien und ältere Menschen, die ein urbanes Wohnumfeld schätzen, für junge Kreative mit ausreichend Geld aus Erbschaft, Job oder von den Eltern, die sich in den Berliner Szenen entfalten möchten, für Zuwandernde aus der ganzen Welt, die sich im „bunten“ Berlin heimisch fühlen und für Unternehmen und Hochqualifizierte, die von der Innovationsfähigkeit Berlins profitieren und diese weiter steigern wollen. Der Berliner Senat geht davon aus, dass ca. 30.000 neue Wohnungen gebaut werden müssen, um die steigende Nachfrage decken zu können. Die auf dem Tempelhofer Feld geplanten Wohnungen sind für diese Klientel gedacht. Bei einem Großteil der Wohnungen werden Kaltmieten von 14 €/m² erwartet. Aber auch bei den geplanten „Sozialwohnungen“ ist Vorsicht geboten. Stadtentwicklungssenator Michael Müller verspricht laut Berliner Morgenpost (02.01.2014), dass „die preisgünstigen Quartiere (…) Inhabern von Wohnberechtigungsscheinen vorbehalten (sein werden)“. Bis zu einem monatlichen Einkommen von 1400 Euro Brutto haben BerlinerInnen Einpersonenhaushalte Anspruch auf eine geförderte Wohnung, das sind insgesamt rund 55 Prozent der Berliner Haushalte. Der Haken ist, dass es gar nicht genügend Sozialwohnungen gibt. Die geplanten ca. 800 „Sozialwohnungen“ auf dem Tempelhofer Feld werden in diesem Zusammenhang kaum Abhilfe schaffen. Es gibt sogar die Befürchtung, dass eher Haushalte mit mittleren bis hohen Einkommen in den Genuss der subventionierten Wohnungen kommen. Auch ist es mehr als fraglich, ob die Wohnungen für ältere Menschen tatsächlich alten- und behindertengerecht sein werden. Die geplanten Wohnungen werden für Hartz IV-BezieherInnen und Menschen mit geringem Einkommen zu teuer sein und das neue Wohnquartier auf dem Tempelhofer Feld wird vor allem eines für die relativ gut verdienende Mittelschicht werden.
Verdrängung von Menschen mit geringen Einkommen
Die Verdrängung der einkommensarmen Bevölkerungsschichten aus dem inneren Bereich der Stadt ist mittlerweile auch statistisch nachweisbar. Laut dem Sozialstrukturatlas 2013 hat sich an den Rändern der Stadt (Spandau, Reinickendorf und Neukölln) die soziale Situation deutlich verschlechtert. Die soziale Lage dagegen in Friedrichshain-Kreuzberg, Lichtenberg und Mitte hat sich im Vergleich zum letzten Sozialstrukturatlas von 2008 deutlich verbessert. Menschen mit niedrigen ProKopf-Einkommen oder Erwerbslose haben immer größere Schwierigkeiten, die anhaltende Preissteigerung der Mietwohnungen zu finanzieren. So ist der Bezirk Kreuzberg inzwischen der teuerste bei Neuvermietung in Berlin. Laut dem Stadtentwicklungskonzept 2030 wurden u.a. die meisten neuen Wohnungen in FriedrichshainKreuzberg errichtet, diese Neubautätigkeit hat aber keinen neuen Wohnraum für Menschen mit wenig Geld geschaffen, sondern vor allem für Wohlhabende, die die Bezirke der inneren Stadt immer attraktiver finden und laut BBU bereit sind, durchschnittlich 8,70 €/m² zu bezahlen. Der Verdrängungseffekt drückt sich wiederum in den Preissteigerungen der ortsüblichen Vergleichsmiete aus, aber auch an der abnehmenden Zahl der Wohnflächen pro Person. Die höchsten Preissteigerungen erfuhren u.a. Neukölln (2,8 Prozent) und Pankow (2,7 Prozent). So ist die Befürchtung nicht von der Hand zu weisen, dass die Neubautätigkeit auf dem Tempelhofer Feld zu einem weiteren Mietpreisanstieg nicht nur im Schillerkiez führen wird.
Diese politisch bewusst herbeigeführte Misere ist Ausdruck eines kapitalistischen Alltags, der die Polarisierung zwischen Armut und Reichtum immer weiter verschärft. So wird auch im Stadtentwicklungskonzept 2030 eine wachsende Unsicherheit in Abhängigkeit von globalen Entwicklungen (Finanz- und Wirtschaftskrise, Sicherheitslage etc.) festgestellt. Obwohl die Nettoeinkommen insgesamt gestiegen sind, verschärft sich die „soziale Polarisierung“. Eine hohe Anzahl Kinder und Jugendlicher hat auf Grund der Armut des Elternhauses geringe Erfolgsaussichten im Bildungssystem. Die Konzentration „sozialer Problemlagen“ ist laut dem Monitoring Soziale Stadtentwicklung 2011 vor allem im Wedding, in Teilen Friedrichshain-Kreuzbergs und im Norden von Neukölln auszumachen. Im Stadtentwicklungskonzept 2030 wird festgestellt, dass sich die räumliche soziale Ungleichheit nicht nur verfestigt sondern auch vertieft. Es sind aber gerade diese Gebiete der inneren Stadt, die für Menschen mit mittlerem und hohem Einkommen immer attraktiver werden. Die Politik des Berliner Senats ist in diesem Zusammenhang darauf ausgerichtet, einem prognostizierten Fachkräftemangel entgegenzuwirken und setzt dabei auf Zuwanderung von hoch qualifizierten Arbeits- und Führungskräften, um in der Konkurrenz der Wirtschaftsstandorte bestehen zu können. Die für diese Bevölkerungsgruppe geplanten Wohnungen werden Verdrängungseffekte verstärken und die ärmeren Bevölkerungsgruppen können zusehen wo sie bleiben. Die Behauptung des Senats, dass bei einem Erfolg des Volksbegehrens eine behutsame und soziale Stadtentwicklung für nachfolgende Generationen nicht mehr möglich ist, ist somit nur als böswillig zu bezeichnen. Stattdessen zeigt der Senat schon seit geraumer Zeit, in unterschiedlicher Besetzung, dass er an einer sozialen Stadtentwicklung keinesfalls interessiert ist.
Das Volksbegehren 100 % Tempelhofer Feld
Das Volksbegehren 100 % Tempelhofer Feld will dagegen die Wiese, Wiese bleiben lassen: „Das Land Berlin verzichtet auf eine Veräußerung, Bebauung und Teilprivatisierung des Tempelhofer Feldes. Das Tempelhofer Feld steht der Öffentlichkeit weiterhin in seiner Gesamtheit und ohne dauerhafte Einschränkung zur Verfügung. Es dient auch zukünftig der Freizeit und Erholung und wird in seiner Funktion als innerstädtisches Kaltluftentstehungsgebiet und als Lebensraum für Pflanzen und Tiere geschützt. Dabei wird das Tempelhofer Feld in seiner Bedeutung als historischer Ort und als Ort des Gedenkens erhalten.“ (zitiert nach Tagesspiegel 28.01.2014). Die Bürgerinitiative kritisiert vor allem auch, dass der Berliner Senat das Tempelhofer Feld ohne echte Beteiligung der Berlinerinnen und Berliner verplant. Die Bebauungsplanung und die neue Zentralbibliothek gelten als alternativlos. Über Sinn, Akzeptanz, Machbarkeit, Konsequenzen für Menschen und Natur sowie Kosten für die Entwicklung der Baugebiete will der Senat nicht ernsthaft diskutieren. Auch die Architekturkammer Berlin kritisiert laut Berliner Morgenpost (13.01.2014), dass die Planungen „größtenteils hinter verschlossenen Türen statt(finden). Man kann Wettbewerbe veranstalten, so viel man will, wenn die Baufelder und der Flächennutzungsplan seit Jahren feststehen und man nichts verändern darf, dann macht das wenig Sinn,“ sagt die Präsidentin Christine Edmaier. „Wir müssen dringend auf die Bremse treten.“ Entgegen der Behauptung des Berliner Senats, dass bei einem Erfolg des Volksbegehrens eine soziale Stadtentwicklung nicht mehr möglich sei, betont die Bürgerinitiative, dass in dem von ihr zur Abstimmung gestellten Gesetzentwurf die Möglichkeit einer echten Bürgerbeteiligung formuliert ist: „Deshalb ist es wichtig, dass das Land Berlin die Berliner/innen in die Umsetzung dieses Gesetzes und in die Verwaltung des Feldes einbezieht und hierzu im Sinne einer echten Partizipation geeignete Verfahren entwickelt. Das Tempelhofer Wiesenmeer muss bleiben und mit den BerlinerInnen weiterentwickelt werden!“ (http://www.thf100. de/buergerbeteiligung.html)