Entgegen den Darstellungen des Senats lehnt die Mehrheit der Oranienplatz-Flüchtlinge das Angebot des Senats ab. Flüchtlingsrat fordert Wiederaufnahme der Gespräche.
Im Januar 2014 hatten die Flüchtlinge vom Oranienplatz nach über einem Jahr endlich erreicht, dass der Senat von Berlin mit ihnen Gespräche aufnimmt. Im Auftrag des Senats ist Integrationssenatorin Dilek Kolat in Verhandlungen mit einer 8-köpfigen Delegation der Oranienplatz-Flüchtlinge über die Zukunft des Protestcamps getreten. Der Flüchtlingsrat hat an den Verhandlungen beratend teilgenommen.
Die Gespräche hatten zunächst zur Vereinbarung geführt, dass für alle Flüchtlingsgruppen auf dem Platz eine Lösung gefunden werden soll, und im Gegenzug die Zelte abgebaut werden. Zu den am Oranienplatz vertretenen Gruppen gehören:
1) Lampedusa-Flüchtlinge, die in Deutschland noch nicht registriert sind
2) Lampedusa-Flüchtlinge, die in Deutschland einen Asylantrag gestellt haben (meist mit Wohnsitzauflage für andere Bundesländer)
3) Flüchtlinge ohne Lampedusa-Bezug, die in Deutschland im Asylverfahren sind (meist mit Wohnsitzauflage für andere Bundesländer)
4) Flüchtlinge, deren Asylverfahren abgeschlossen sind, und die eine Duldung haben (meist mit Wohnsitzauflage für andere Bundesländer)
5) Flüchtlinge, die wegen der Dublin-Verordnung Abschiebeverfügungen in andere EU-Staaten erhalten haben (meist mit Wohnsitzauflage für andere Bundesländer)
Diese fünf Gruppen spiegelten sich auch in der Zusammensetzung der Oranienplatz-Delegation bei den Gesprächen mit Senatorin Kolat wieder.
Nach mehreren Wochen legte die Senatorin ein Angebot vor, für das die Flüchtlingsdelegation Zustimmung signalisierte (siehe u.a. Taz vom 12.03.2014):
a) Umverteilung nach Berlin für alle Oranienplatz-Flüchtlinge, die eine Wohnsitzauflage für andere Bundesländer haben
b) eine mehrmonatige Duldung für alle Flüchtlingsgruppen vom Oranienplatz, die dies möchten
c) intensive Beratung und Unterstützung bei der Beantragung von Aufenthaltserlaubnissen, wohlwollende Prüfung der Anträge
Die Gespräche verliefen dann jedoch zunehmend intransparent für die Flüchtlinge. Immer deutlicher wurde, dass Innensenator Henkel, der an den Gesprächen weder selbst noch durch MitarbeiterInnen seiner Verwaltung beteiligt war, kein Interesse an einer konstruktiven Lösung hat. Von seiner Zustimmung hängt aber jedes verbindliche Angebot an die Flüchtlinge ab.
Aktuell hat der Senat nun ein neues, in wesentlichen Punkten verändertes Angebot vorgelegt. Dieses richtet sich de facto lediglich an einen Teil der Oranienplatz-Flüchtlinge, nämlich ausschließlich an die Gruppe der Lampedusa-Flüchtlinge, die in Deutschland noch nicht registriert sind. Diese sollen Duldungsbescheinigungen erhalten, wobei es keinerlei Aussage über die Geltungsdauer der Duldungen gibt. Für alle anderen Flüchtlingsgruppen ist das jetzt vorliegende Angebot von vornherein wertlos, da die Senatsverwaltung insoweit auf die Zuständigkeit anderer Bundesländer verweist, auch eine wohlwollende Prüfung der Umverteilung nach Berlin ist nicht mehr vorgesehen.
Anders als bisher fordert die Senatsverwaltung jetzt außer der Räumung des Oranienplatzes auch die de-facto Räumung der Gerhard-Hauptmann-Schule, obwohl die Delegation es ausdrücklich abgelehnt hat, die Verhandlungen auf die Zukunft der besetzten Schule auszuweiten. Die Delegation hat mehrmals betont, dass es für die Räumung der Schule kein Einverständnis gibt.
Nur eine kleine Minderheit der Flüchtlingsdelegation hat sich auf das nunmehr vom Senat vorgelegte „Einigungspapier“ mit dem neuen Minimal-Angebot eingelassen. Auch bei einer von der Senatorin am Montag Abend eilig einberufenen Informationsveranstaltung, an der ca. 100 Oranienplatz-Flüchtlinge teilnahmen, hat das „Einigungspapier“ mit dem neuen Angebot kaum Zustimmung gefunden. Pressemeldungen und Erklärungen des Senats, es sei eine Lösung für die Flüchtlinge gefunden bzw. eine Einigung mit den Flüchtlingen getroffen worden, sind daher falsch.
„Auf der Grundlage des jetzigen Angebots werden die Flüchtlinge die Zelte und Hütten am Oranienplatz nicht freiwillig räumen. Die jetzt vom Senat präsentierte Schein-Einigung dient lediglich dazu, medial und in der Öffentlichkeit eine polizeiliche Räumung vorzubereiten“, sagt Martina Mauer, Sprecherin des Flüchtlingsrats Berlin.
Aus Sicht des Flüchtlingsrats ist es dringend erforderlich, die Gespräche unter Beteiligung der Innenverwaltung wieder aufzunehmen mit dem erklärten Ziel, für alle am Oranienplatz vertretenen Flüchtlingsgruppen eine Lösung zu finden. Bevor die Flüchtlinge über ein Angebot abstimmen, müssen zudem alle offenen Fragen – Gültigkeitsdauer der Duldung, Aussicht auf Umverteilung nach Berlin, Zugang zur Existenzsicherung, genauer zeitlicher Ablauf der Einigung usw. – geklärt werden.