Leicht gekürzte Kopie eines Facebook-Posts:
„Moabit hilft“ – Freitag 14.08.2015 im LaGeSo
Im Vorfeld entschuldige ich mich für die Länge des Textes. Ich staune selbst, was aus meiner anfänglichen Zurückhaltung wurde:
Ich schiebe die Zusammenfassung des gestrigen Freitags schon den ganzen Tag vor mir her. Hatte einmal angefangen, aber irgendwie wollte ich nicht weiterschreiben. Ich weiß, was auf mich zukommt, ich werde gleich nochmal nachlesen, was jede Einzelne von uns vom OrgaTeam erlebt hat. Denn wir wollen heute klar darstellen, was wir auf diesem Gelände erleben, an nur e i n e m Tag!
Wenn ich das hier aufliste, das weiß ich, wird es mir danach schlecht gehen, es wird alles wieder hochkommen, ich werde beim Schreiben heulen, so wie ich, wie es wohl viele die letzten Tage mehrmals am Tag taten. Ich bin mir auch oft nicht sicher, was es wirklich ist, dass mir dort ab und an den Atem raubte, den fetten Kloß im Hals aufsteigen ließ.
Manchmal denke ich, es ist – und ich kann nur für mich reden – die Verachtung die ich für die Entscheider empfinde, dann denke ich, dass es die Scham ist, dass ich Glück in meinem Leben hatte, auch wenn es sich in manchen Momenten nicht so anfühlte, dann sehe ich diese Menschen vor mir und ich fühle mich wie ein kleiner Wurm.
Was haben sie wohl durchgemacht auf dem Weg nach Deutschland? Ist DAS hier mein Deutschland? Geht man so mit Menschen um?
Wir pusten auf ein Knie eines Kindes, nehmen es in den Arm, wollen es verwöhnen, weil es von einer Schaukel fiel. Im LaGeSo sehe ich Kinder, die im Krieg geboren sind, eine Flucht in einem Boot überlebt haben, mit Schlapperlatschen rumlaufen, die vier Nummern zu klein sind, die 12 Stunden mitten in Deutschland im Sand liegen müssen und niemand pustet.Bitte seht diese Einleitung als eine Triggerwarnung.
Mein Tag beginnt mit der Fahrt zum Großmarkt Beusselstraße, ich hole die Zutaten für eine Linsensuppe ab – denn es konnte über Nacht ein Kochwagen organisiert werden, der zeitgleich auf das LaGeSo-Gelände fährt. Dieser wurde für den heutigen Tag gesponsert, ab nächste Woche werden wir den bezahlen müssen. Mit 100 €/Tag. Auch, wenn das eine Farce ist, dass dieses nicht von staatlicher Seite übernommen wird, ist es für heute erstmal eine gute Nachricht. Insbesondere nach dem gestrigen turbulenten Tag, denn es bedeutet, es geht weiter wie bisher.
[…]
Es sah um 9.00 Uhr recht ruhig aus, vielleicht 250 – 300 Wartende. Naja, dachte ich, mal sehen, wer über den Tag noch so ankommt. Um die Uhrzeit sind schon einige Helfer*innen vor Ort. Und viele Gesichter kenne ich seit Tagen. Ich glaube, wer einmal dabei war und weiterhin Zeit hat, der*dem fällt es schwer, nicht wiederzukommen. Am Haus R, unserem Headquarter, weise ich die Neuen ausführlich ein. Es sind Sicherheits- und Gesundheitsaspekte einzuhalten, das Gelände wird erklärt, der Ablauf beim Haus, es ist viel zu erklären. Die Leute werden verteilt, verteilen sich selber. Mittlerweile, so können wir mit Recht behaupten, haben wir ein Klima der bestmöglichen Befriedung geschaffen. Man merkt es. Hier und da fangen Jugendliche an. einen Fußball – gespendet – hin und her zu spielen, in der Kinderecke trappeln die ersten Kinder ein. Eigentlich darf ich gar nicht Kinderecke sagen, denn mittlerweile steht da ein kleines Paradies.Kaum zurück an dem Haus ist für uns die trügerische Ruhe vorbei. Die Menschen auf dem Feld kennen uns, wer uns nicht kennt, zu der*dem hat es sich rumgesprochen. Uns kann man vertrauen, das sind die, die helfen. Und die Verzweifelten finden ihren Weg zu uns. Und dieser Freitag war ein höllischer Freitag:
- Ein seit drei Tagen rumirrender Mann mit Schrapnell im Auge ohne Unterkunft. Er hat zum Montag einen OP-Termin in der Charité. Er und seine Familie erhalten aber trotzdem die Umverteilung nach Friedland. Und obwohl der OP-Termin fest steht und zwingend notwenig ist, gibt es keine Aussetzung der Umverteilung.
- Vier Minderjährige haben Wartezeiten von 3-4 Tagen. Dann Weiterleitung zur Wupperstraße – dort sind die Schutzbefohlenen ohne erw. Begleitung. Keine Kapazitäten. Und wieder Ausstellung von Hostel-Gutscheinen, am gestrigen Tag alleine zwölf Stück – mit eigenen Augen gesehen – und Barauszahlung. Somit wieder obdachlos.
- Ein Minderjähriger wird von seiner Großmutter getrennt nach Schwarzfahren und Polizeieinsatz, da die Großmutter einen anderen Namen trägt. Er wird in die Wupperstraße gebracht ohne Info an die Großmutter. Sie sucht beinahe 2 Tage nach ihm.
- Eine Akte eines jungen Mannes geht 2x verloren. Er muss schlussendlich 3x einen neuen B-Bogen ausfüllen, und wartet somit seit 9 Tagen ohne Geld und Unterkunft.
- Suizidversuch eines jungen Mannes direkt vor unserem Haus R.
- Krankes Baby mit Notfalleinsatz, anschließend Familie in Privatunterkunft, da sonst obdachlos.
- Alte Frau mit hohen Zuckerwerten, wieder Notfalleinsatz, wieder Privatunterkunft, da sonst obdachlos.
- Alle Notfalleinsätze sind schlussendlich obdachlos, wenn wir sie nicht abfangen und in eine private oder andere Unterkunft begleiten.
- Behindertes Mädchen unversorgt seit Tagen. Spastische Lähmungen und schwere Hautinfektionen. Sozialdienst ist überlastet, kann nicht reagieren.
- Ein Mann erfährt, dass sein Bruder Zuhause verstorben ist und erleidet einen Nervenzusammenbruch. Er schreit, fällt unter Schock. Als er wieder einigermaßen bei Kräften ist, hat er vergessen, dass sein Bruder verstarb, ruft wieder zuhause an, und bricht wieder zusammen. Schreit minutenlang, immer wieder, über Stunden. Wir bemühen uns um einen psychologischen Begleiter, aber wer spricht seine Sprache? Am Ende finden wir jemanden, der ihn ins KKH bringt. Er ist abends wieder da, weint, schreit, eine unserer wunderbaren Helferinnen nimmt sich seiner an, betreut ihn mit einer unglaublichen Hingabe. Es wird viel geweint. Abends bringen wir ihn in die Moschee, Haus der Weisheit. Der einzige Ort, wo er Kraft schöpfen und zur Ruhe kommen könnte.
- Sieben 16 jährige Jungs, die nach zwei Tagen im Park ein Hostel gefunden haben, aber kein Essen, kommen zum LaGeSo zurück, in der Hoffnung, dass sie etwas zu Essen bekommen.
- Ein Junge mit gebrochenem Arm, die Mutter und Schwester dürfen nicht mit ins Krankenhaus, weinen weil sie Angst haben, den jungen nicht wieder zu finden.
Sicherlich habe ich einiges vergessen aufzuzählen, irgendwie verschwimmt es, ich will nicht mehr darüber nachdenken, es aufzählen, es ist einfach zu viel. Ich wage gar nicht zu sagen, dass es zu viel für mich, für uns ist, wenn man sieht, was die Menschen vor uns durchmachen. Dazu mischt sich das Gefühl der Taubheit, Verachtung, Unverständnis und des Alleingelassenseins. Und wieder denkt man: “Fuck you Czaja“, wie so oft.
Mein persönlich schlimmster Moment war, dass eine schwangere Frau, die seit 4 Tagen über Bauchschmerzen klagte, aber warten musste/wollte, auf dem Weg ins Krankenhaus ist, vermutlich wird ihr Kind es nicht überleben. Und wir müssen das Taxi zahlen, damit ihr Mann nach kann. Das war, als ich für ein paar Minuten ausstieg, mir die Luft wegblieb und ich dachte: WAS VERDAMMT NOCHMAL MUSS HIER NOCH PASSIEREN? Reicht es nicht, dass eine Frau bereits ihr Kind im vierten Monat verlor?
CZAJA, ich verachte dich! Mit jeder Faser meines Körpers, als Mensch, als Mutter. Ich habe dich, der du gerade aus deinem Jahresurlaub kommst – übrigens, meinen verbringe ich hier vor Haus R, 13 Stunden am Tag, ohne Bezahlung – nicht kennengelernt, glaube mir, ich will es auch nicht und du willst es auch nicht. Solltest du mal in Berlin sein und aus Versehen mal sehen wollen, was du anrichtest, komm‘ nicht – falls wir noch da sind – beim Haus R vorbei, wenn ich da bin. Das wird nicht schön. Und damit es nicht schön wird, muss i c h nicht mal meine Stimme anheben.
So habe ich also gelesen/gehört, die Situation würde sich entspannen vorm LaGeSo. Nun wisst ihr, wie „Entspannung“ aussieht.
Nein – entspannt ist niemand. Nicht die Mitarbeiter des LaGeSo, die seit drei Jahren rund um die Uhr arbeiten. Da ist dann auch das Wohl des Mitarbeiters egal. Und auch nicht die Menschen, die gerade eine Flucht hinter sich haben, fühlen sich entspannt. Sie sind weiterhin hungrig, ausgebrannt, krank, traumatisiert, was auch immer.
Daher wird es Zeit an der Stelle daran zu erinnern, dass unsere Forderungen – wie ja auch durch Herrn Allert und Herrn Hanke zugesagt – bei dem nächsten Gesprächstermin am Montag um 11.00 Uhr bestätigt werden.
Zur Erinnerung einige Punkte:
– Lösungen für die Essenszubereitung
– eine Hilfsorganisation die unsere organisatorische Leitung übernimmt
– eine angemessene ärztliche Vollversorgung ab Montag (inkl. Hebammen)
– Vorbereitung einer Fläche, auf der große Zelte stehen werden, um die wartenden Menschen auch vor Unwetter zu schützen
– es werden neue Unterkünfte erschlossenAm Montag wird sich zeigen, wie wichtig dem Senat Absprachen und Menschen sind.
Ich könnte euch nun noch erzählen, von dem Polizisten auf der Wache, auf der sich die Flüchtenden registrieren müssen am Wochenende. Der sagt, dass er keine mehr registrieren wird. Wenn noch mehr kämen, würde er die Wache schließen, weil sie nicht mehr hinterherkommen (eine Registrierung dauert ca. 3 Stunden).
Dass schon das mobile Registrierungsteam von der Bundespolizei angefordert wurde, es aber noch nicht da ist.
Dass das Regierungsviertel wohl keinen Streifenwagen vor Ort hat. Er hat keine Leute. Ich könnte euch auch noch erzählen, wie am Abend rund 20 Flüchtende vor dem LaGeSo und nicht mit dem Bus mitfahren durften. Glücklicherweise engagierten sich zwei Mitarbeiter und sie kamen unter. Dies aber auch nur, wenn wir sie auf unsere Kosten bringen, denn es war ja kein Bus mehr da. Ich könnte nochmal erzählen, dass in der neuen Unterkunft Essen und Non-Food fehlte und wir 5 Autos vollluden, um dort auszuhelfen. Ich könnte auch erzählen, dass ich nach 12 Stunden LaGeSo dann nochmal bis kurz vor 2.00 a.m. in Wilmersdorf war. Wie man dort bis zu dem Zeitpunkt noch immer nicht alle Menschen registriert und im Bett hatte, Dass Kinder und Babys auf dem Hof schliefen. Dass ein allein reisender 16jähriger gegen 1.00 Uhr eintraf, der erzählte, dass er alleine auf der Flucht war, seit März. Oder dass Bayern einfach mal eine 11-köpfige Gruppe, Erwachsene mit Kindern, an einem Wochenende zum LaGeSo per Bus fahren lässt, Ankunft 1.30 Uhr, obwohl es geschlossen ist. Dass wir sie mit zwei Großtaxen auf unsere Kosten nach Wilmersdorf fahren ließen.Als ich heute Morgen ging, ging ich nicht mit dem Gefühl, dort fertig zu sein. Aber ich musste gehen, denn ich bin kaputt. So ging ich mit dem Wunsch, dass mir doch jemand genug Geld geben würde, dass ich diese Arbeit weiter machen kann, denn diese Menschen brauchen uns.
Nächste Woche gehe ich also wieder arbeiten, der Alltag steht vor der Tür. Ich werde den auch leben, aber es wird ein anderer Alltag sein als vorher.
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