Im Konflikt um die ehemaligen Eisfabrik-BewohnerInnen demonstriert die Politik ihre Hilflosigkeit und Überforderung. Bezirksbürgermeister Hanke (SPD) kündigt die von ihm vorgesehenen Ergebnisse der noch nicht stattgefundenen Gespräche schon im Inforadio an: die Obdachlosenhilfe in der Kältesaison. Verschwiegen wird: Wo ein bestehender Platz belegt wird, werden andere „auf Platte“ gehen müßen.
Richtig ist die Bemerkung von Moderator Dietmar Ringel im Interview vom Montag: „Man spricht miteinander, wenn man was auf die Reihe bringen will“. Und entlarvend die Antwort des Bezirksbürgermeister von Mitte, er will gar nichts auf die Reihe bringen und verweist einfach nur auf die bestehenden überbelegten Obdachloseneinrichtungen der Stadt.
„In Berlin gibt es zu wenige Plätze, um Obdachlose unterzubringen“ fasst die Berliner Morgenpost die Antwort des Sozialstadtrats von Charlottenburg-Wilmersdorf, Carsten Engelmann (CDU), auf eine kleine Anfrage zusammen. Bestätigt wird dies in der RBB-Abendschau durch Sybill Klotz, Bezirksstadträtin für Soziales in Tempelhof-Schöneberg. Die Zahl der Wohnungslosen nimmt sogar eklatant zu, bei fast gleichbleibender Anzahl von Unterkünften für die Betroffenen.
Die Realität beschreibt auch die Straßenzeitung „strassen|feger“, in der Ausgabe 23/2013 wird die Auslastung der Unterkünfte der Kältehilfe für den vergangenen Winter mit 111 Prozent beziffert. Die Kältehilfe hätte gerne mehr Plätze angeboten – entsprechende Räume: Fehlanzeige. Raumpolitik wäre jedoch hier ein klassisches Feld, auf dem die Stadt Verantwortung übernehmen kann.
Dies gilt auch für den Mob e.V.: der Trägerverein des Straßenmagazins muß während des laufenden Betriebes einen gewaltigen, logistischen und finanziellen Kraftakt auf sich nehmen. Der bisherige Vermieter wollte die Einrichtung nicht mehr in den eigenen Räumen, er kündigte und leitete eine Räumungsklage ein. Für einige Projekte und die Büroräume wurde auf eigene Faust ein neuer Platz gefunden, doch für die einzige Notübernachtung im Großbezirk Pankow fehlt bis heute eine Lösung. Auch hier ist die SPD in der Verantwortung, namentlich Bezirksbürgermeister Matthias Köhne und Sozialstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz. Auf der Kippe stehen 20 Notübernachtungsplätze, ganze 4% von nicht einmal 500 in der ganzen Stadt.
Die Folge einer solchen Politik beschreibt auch die Nachrichtenagentur dpa im Fall der GEBEWO, die von ihr betriebene Notübernachtung muss immer mehr Frauen abweisen. Die genannte Einrichtung hat Plätze für 9 Frauen, und ist die einzige ganzjährig geöffnete Einrichtung ihrer Art. Auch hier fehlen Plätze.
Was zu wenige Plätze und enger zusammenrücken für die Betroffenen heißt, beschreibt das Videodossier von tv.berlin zum Thema „Leben auf der Straße“. In der Notübernachtung Lehrter Straße, welche offiziell 100 Plätze umfasst, werden 13 Menschen auf Isomatten eng aneinander in einem Raum untergebracht.
Aus guten Gründen wird sich häufig gegen die Notunterkunft entschieden. Die dort ankommenden Menschen kämpfen um einen Schlafplatz – einen Schlafplatz auf Zeit -und am Tage stellt sich die Frage: Wo gehst du hin? Der Alltag: laufen, aufwärmen, weiterlaufen, aufwärmen… Um 8:00 muß die Einrichtung verlassen sein. Abends heißt es dann in der Schlange anstehen um einen der Plätze, ab 21:00 werden die Türen aufgemacht. Aufgesucht wird bevorzugt der Schlafplatz der vorherigen Nacht, da das Laken auf der dünnen Isomatte nur zweimal in der Woche gewechselt wird. Die wichtigen Dinge behält man am Körper oder gibt sie zur Bewachung ab.
So sieht die Antwort auf die von Christian Hanke angeprochene „humanitäre Frage“ aus. Der Begriff ist in diesem Zusammenhang eine Farce, als würden wir in Berlin in einem Gefahren- oder Krisengebiet leben. Die Betroffenen beschreiben es so: „Es ist NUR besser als auf der Straße, weil es warm ist.“ Für alle, die nichts kriegen, heißt es „auf Platte machen“.
Ein beträchtlicher Teil der Wohnungs- und Obdachlosen möchte nicht in diese Falle der Dankbar- und Abhängigkeitsverhältnisse geraten. Einmal in eine solche Situation geraten, läßt sich dort nur schwierig wieder rauskommen. In einem Interview der taz mit Jenny De la Torre Castro, Äztin und Gründerin des Gesundheitszentrums für Obdachlose, wird deutlich, wieviel Folgearbeit eine andauernde Odachlosigkeit bedeutet. Sie beschreibt auch, dass das klassische Klientel sich gewandelt hat. „Inzwischen kommen heute auch Arme aus ehemals besseren Verhältnissen, die gebildet sind, Doktoren, Architekten, Anästhesisten und Krankenschwestern“, sie kommen nicht zum arbeiten, sondern als Betroffene von Wohnungslosigkeit. Diese Leute sieht man nicht, denn sie erfüllen nicht mehr das klassische Klischee.
Im oben erwähnten tv.berlin Beitrag schildert ein Betroffener, dass es mit der Organisierung des „der pennt bei dem zuhause und der bei dem“ schonmal besser funktioniert habe. Vielleicht weil das soziale Umfeld das diese Praxis tragen kann und nicht zur „Obdachlosen-Szene“ gehört, über den Aufenthalt in dieser verschwindet. Wesentlichen Beitrag hat die Stigmatisierung, die man in ihr erfährt, zum Beispiel über das in der Leistungsgesellschaft ausgeprägte „du bist selber Schuld“.
Viel entscheidener jedoch scheint auf dem Wohnungsmarkt, wie wir ihn vorfinden, dass die geforderten Betten und Dächer über den Köpfen nicht erreichbar oder vorhanden sind, sei es weil die bürokratischen Hürden riesig, das Einkommen zu gering oder gar nicht vorhanden ist oder die Mieten verdammt nochmal zu hoch sind. Und hier sind wir wieder ganz beim Beitrag der Berliner Morgenpost und Sozialstadrat Carsten Engelmann (CDU): „Ein gesamtstädtisches Konzept könne angesichts des engen Wohnungsmarktes helfen.“ Die von Hanke angesprochenen Arbeitnehmerwohnheime können nur ein Teilaspekt davon sein.
Bis zum ausgefeilten Konzept kann es aber nicht heißen ,die Füße still zu halten. Es kann nicht heißen ,dass die durch das Bauamt Mitte (CDU) forcierte Räumung der Eisfabrik dazu führt, dass die ehemaligen Bewohner weiter von Pontius zu Pilatus geschickt werden. Es kann nicht heißen, dass ein Bezirk mit 330.000 Einwohnern oder eine Metropole mit 3,5 Millionen Einwohnern wegen 30 Menschen ohne Obdach kapituliert.
Es kann nicht heißen, dass am Ende ein Ergebnis steht, bei dem die „eigene“ Hütte in einer Ruine – mit einem Minimum an Privatsphäre und dauerhafter Aufenthaltsmöglichkeit – gegen einen Nachtaufenthaltsplatz in einer Obdachlosenunterkunft eingetauscht wird. Und es kann erst recht nicht heißen, dass für die 30 Bewohner der Eisfabrik 30 andere Obdachlose unsichtbar gemacht werden, auch für diese – wie für alle – gilt ein Recht auf Wohnen, welches auch in der Berliner Verfassung unter Paragraph 28 garantiert wird.
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