Alle empören sich, alle sind betroffen, aber eine verantwortungsbewußte Presse sieht anders aus. Leser*innen der Berliner Zeitungen wünschen sich Journalist*innen, die den Unterschied zwischen Instrumentalisierung und Solidarität kennen.
In einem Kommentar der Berliner Zeitung wird der verantwortungverweigernde Umgang mit dem Flüchtlingscamp am Oranienplatz, der besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg sowie der alten Eisfabrik in Mitte beschrieben. Schluß dieses Kommentars ist, dass niemand Verantwortung übernehmen will, aber jeder – für sich – verantwortlich wäre. Recht hat er – aber die Autorin und einige Angehörige ihrer Berufsklasse gehören ebenso dazu.
Beschrieben wird ganz kafkaesk wie es theoretisch an allen Telefonapparaten im „Schloss“ klingeln müßte, es geht jedoch niemand ran oder die Antworten sind ein Scherz. Der Artikel ist selbst ein solcher Scherz, einer, der strukturelle Probleme ausblendet und verhaftet bleibt im „ethisch-moralischen Verantwortung übernehmen“.
Es ist ganz richtig, was die dort erwähnten Aktivist*innen behaupten, das Schweinesystem ist ein Schweinesystem. Es drängt Flüchtlinge dazu, um einen Aufenthaltstitel kämpfen zu müßen, es läßt zu, dass „Armutsmigranten aus der EU“ um ihren täglichen Lohn beschissen werden, es verweigert ihnen eine Meldebestätigungen sowie Sozialleistungen und macht beides voneinander abhängig.
In dem Zeichentrickfilm „Asterix erobert Rom“ von 1976 wird dieses System, als „Haus, das Verrückte macht“ beschrieben. Aufgabe der beiden Aktivisten Asterix und Obelix ist die Besorgung des Formulars A38, einem Passierschein. Die Formalität wird als „verwaltungstechnischer Akt“ beschrieben, die Realität ist das Rennen von Pontius zu Pilatus. Erst die Erfindung eines nicht existierenden Formulars A39, also einer nicht vorgesehenen Handlung, bringt die erhoffte Lösung. Sie schafft eine Mobilisierung des ganzen Hauses , an deren Ende die freiwillige Herausgabe des Passierscheins steht.
Im letzten und damit wichtigsten Absatz des Kommentars beginnt der Zynismus der Autorin, er wirft den Aktiven vor,“im Gespräch bleiben zu wollen“. Richtig ist, das verrückte System gehört diskutiert, eine ständige Mobilisierung ist dafür Vorraussetzung. Den Unterstützer*innen der jeweiligen Proteste wird auch vorgeworfen „verantwortungslos hilflose Menschen für die eigenen Zwecke auszunutzen“. Er spricht den Betroffenen dieses Systems ab, selbst handeln und denken zu können und negiert damit die Vorstellung, dass es neben der Instrumentalisierung soetwas wie Solidarität geben könnte. Ein Begriff, der einem allgemeinem „There is NO *** !“ gewichen ist, in dem „Alternative“ nicht mehr gedacht wird, der Kommentar ist ein Zeugnis hierfür.
Die Aktivist*innen, unter ihnen Betroffene und Unterstützende, tun gut daran ,“kreativ“ zu sein und den „Kampf gegen das Schweinesystem“ zu führen. Denn nicht nur die politisch Verantwortlichen und die von ihnen offerierten Lösungen sind zynisch. Ihr Zynismus selbst hat ein System als Rückenstütze. Er hat nur kurzfristige und instabile Lösungen in Pensionen und Notunterkünften zu bieten und will langfristige Perspektiven wie Wohnungen kategorisch ausschließen.
Sie, „die Verantwortlichen“, wissen was sie tun, sie haben aufgegeben und ziehen sich auf konservative Positionen zurück, und es sind genau die Aktiven, die Innovationen zurückbringen und nicht auf formalen Wege handeln. Bewegungen, die uns darin erinnern das Perspektive nicht heißt jeden Tag neu zu schauen wo das Fressen und das Dach über dem Kopf herkommen.
Im Grunde sind die Aktiven dabei ganz nahe an den vom System nicht eingelösten Garantien und Menschenrechten, wie zum Beispiel dem garantierten „Recht auf angemessenen Wohnraum“ in der Berliner Verfassung.
Dieser Beitrag ist von „***“
und wurde dem Blog zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt.
Weitere Infos:
- Aufruf zur Unterstützung der Eisfabrik-BewohnerInnen + Presseartikel
- Kommentar der Berliner Zeitung von Karin Schmidl, 27.12.2013, Elendsquartiere in Berlin
- Tagesspiegel-Artikel von Veronica Frenzel zum Instrumentalisierungsvorwurf des Camps am Oranienplatz, 15.12.2013, „Wir sind doch keine Kinder“