RBB-Text (Quelle):
Berliner Mietenbündnis – zu viel versprochen, zu wenig gehalten?
Im Kampf gegen die weitere Gentrifizierung hat der Senat ein „Berliner Mietenbündnis“ mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften festgeschrieben. Dieses soll die heftige Preis-Entwicklung auf dem Berliner Wohnungsmarkt dämpfen. Gleichzeitig sollen die Wohnungsbaugesellschaften aber auch Gewinn bringen. Wie passt das zusammen? KLARTEXT fragt, was das politisch viel gepriesene Mietenbündnis bringt.
Bezahlbare Mieten in Berlin – ein Riesenproblem! In keiner anderen Stadt sind die Mietkosten so explodiert wie hier: In den vergangenen fünf Jahren stiegen die Berliner Mieten um 28 Prozent! Vor allem in der Innenstadt ist der Anstieg rasant. Und die stadteigenen Wohnungsbaugesellschaften, die eigentlich günstigen Wohnraum anbieten sollen, mischen kräftig mit! Beispiel: Schönhauser Allee, modernisierter 50er-Jahre-Bau der GEWOBAG. Langjährige Mieter zahlen 3 Euro 64 pro Quadratmeter kalt. Doch neue Mieter müssen mehr als das Doppelte zahlen, nämlich bis zu 9 Euro Kaltmiete! Um solche Entwicklungen zu verhindern, hatte der Senat allerdings erst im September ein sogenanntes Mietenbündnis mit den Wohnungsbaugesellschaften geschlossen. Doch die Wohnungsbaugesellschaften halten sich nicht an die Vorgaben. Im Gegenteil, berichtet Jana Göbel.
Stadteigene Wohnungsbaugesellschaften treiben die Berliner Mietpreisspirale mit nach oben. Durch Neuvermietungen. Dabei wollte die selbst ernannte Mieterpartei SPD in Berlin alles dafür tun:
Klaus Wowereit
SPD, Regierender Bürgermeister Berlin
„… dass Menschen mit einem kleinem Einkommen auch mitten in der Stadt noch weiterhin leben können.“
Und Stadtentwicklungssenator Müller versprach im vergangenen September vor dem Berliner Parlament:
Michael Müller
SPD, Senator für Stadtentwicklung
„Wir müssen den Mietanstieg für den Bestand auch begrenzen, soweit wir es können, zumindest mietdämpfend einwirken, wie zum Beispiel über unsere städtischen Wohnungsbaugesellschaften.“
Mit einem Vertrag wollte der Senator die städtischen Wohnungsbaugesellschaften dazu verpflichten. Er schloss mit ihnen ein „Bündnis für soziale Wohnungspolitik und bezahlbare Mieten“. Darin heißt es, Zitat:
„Die städtischen Wohnungsunternehmen wirken mit Nettokaltmieten unterhalb des Berliner Mietspiegeldurchschnitts mietpreisdämpfend.“
Laut Mietenbündnis sollen sie nun die Hälfte der Innenstadtwohnungen zu Mietspiegel-Preisen an sozial Schwache vergeben. Bei der anderen Hälfte langen sie dafür offenbar umso kräftiger zu. Aktuelle Angebote städtischer Wohnungsbaugesellschaften:
In der Thomas-Mann-Straße im Prenzlauer Berg verlangt die stadteigene GEWOBAG 10,20 Euro kalt pro Quadratmeter. In der Löcknitzstraße in Friedrichshagen vermietet die Degewo eine Dachgeschosswohnung für 10,51 Euro kalt pro Quadratmeter. Und die Wohnungsbaugesellschaft Mitte will für eine Wohnung nahe der Leipziger Straße sogar 15,25 Euro für den Quadratmeter kalt, weit über dem Mietspiegel.
Der Mietspiegel ist lediglich ein Abbild der gegenwärtigen Marktsituation. Für die Berechnung werden stellvertretend 8000 Mieten in der ganzen Stadt erfasst. Daraus ergibt sich die Berliner Durchschnittsmiete – sie beträgt 5,21 Euro netto kalt. Zuzüglich Betriebskosten. Für durchschnittlich 5,60 Euro netto kalt vermieten die städtischen Wohnungsbaugesellschaften ihre Wohnungen. Also 39 Cent über dem Mietspiegel. Die Berliner Mietpreisspirale – auch damit wird sie weiter nach oben getrieben.
Der Wohnungsmarktexperte der Berliner Grünen Andreas Otto sieht sich die teuren Beispiele landeseigener Wohnungsbaugesellschaften an. Er kritisiert, welche extremen Auswirkungen das Mietenbündnis haben kann.
Andreas Otto
Bündnis 90/Grüne, Wohnungspolitischer Sprecher
„Die Regel lautet nicht, bei nem Teil halten wir uns dran und gehen bisschen runter und bei den anderen ist es uferlos, so kann’s nicht gemeint sein. Das geht nicht.“
Stadteigene Wohnungsbaugesellschaften mit fast schon Luxusmieten. Vor allem in guten Lagen. Stadtentwicklungssenator Müller spricht von Einzelfällen und begründet sie gegenüber KLARTEXT so:
Michael Müller
SPD, Senator für Stadtentwicklung
„Naja, es muss eine Mischkalkulation auch bei den städtischen Gesellschaften möglich sein, denn wir erwarten viel von den Städtischen Gesellschaften. Sie sollen sich im Quartiersmanagement engagieren, sie sollen zusätzlich bauen und noch wirtschaftlich arbeiten, also insofern muss man ihnen Flexibilität geben. Da wo neu gebaut wird oder wo neu vermietet wird, wissen die Mieterinnen und Mieter auch auf welchen Vertrag sie sich einlassen. Wichtig ist uns aber natürlich auch ganz besonders der Bestand, da wollen wir niemanden durch Mieterhöhung verdrängen.“
In der Praxis kann das anders aussehen. In diesem Pankower Mehrfamilienhaus hat die städtische Wohnungsbaugesellschaft GESOBAU bereits einige Wohnungen modernisiert. Miethöhe neu: bis zu 9,29 Euro kalt.
Chris Hättasch
Mieterin
„Dann zeig ich ihnen mal die Wohnung, und zwar ist hier das Wohnzimmer…“
Ihre Wohnung wurde noch nicht saniert. Chris Hättasch, alleinversorgende Mutter zweier Kinder, zahlt nur 3,41 Euro kalt pro Quadratmeter. Ofenheizung und Altbaufenster – deshalb ist die Miete sehr günstig. Noch.
Die Wohnungsbaugesellschaft GESOBAU hat auch hier die Modernisierung angekündigt. Die Miete für diese 92 Quadratmeter würde dann von 314 Euro kalt auf 587 Euro kalt steigen. Immer noch günstig, aber das wären 33 Prozent vom Einkommen! Chris Hättasch kann das trotz Vollzeitarbeit nicht zahlen, eine kleinere Wohnung bot man ihr nicht an.
Ihre Anwältin versuchte eine Teilsanierung auszuhandeln: Fenster und Heizung modernisieren, einverstanden – aber das Bad könnte so bleiben. Doch die GESOBAU verklagte Chris Hättasch: sie müsse die komplette Modernisierung und damit den vollen Mietenanstieg dulden!
Carola Handwerg
Mieter-Anwältin
„Da ziehen sie quasi stur ihre Linie durch, alle Bäder im Haus müssen gleich aussehen.…“
Chris Hättasch
Mieterin
„…alle Vergleiche, die in der Gerichtsverhandlung auch dann noch mal zur Sprache kamen, wurden eben ausgeschlagen von der GESOBAU-Seite.“
Chris Hättasch könne ja ausziehen, argumentiert die Wohnungsbaugesellschaft gegenüber KLARTEXT. Im Februar wird erneut verhandelt, Ende offen. Fast die doppelte Miete. Die Preisspirale – sie wird von städtischen Wohnungsbaugesellschaften auch durch Modernisierungen nach oben getrieben.
An der Humboldt-Universität untersucht Stadtsoziologe Dr. Andrej Holm die Folgen der rasant steigenden Mieten. Er sagt, das Berliner Mietenbündnis bringe nicht viel, solange die städtischen Wohnungsbaugesellschaften sich ähnlich verhielten wie private Vermieter.
Andrej Holm
Soziologe, Humboldt-Universität Berlin
„Ich glaube, dass die Wohnungsbaugesellschaften in den letzten 15 Jahren sich sehr, sehr stark daran gewöhnt haben, dass sie wie privatwirtschaftliche Unternehmen agieren und aus dieser Mentalität im Moment auch gar nicht raus kommen und nicht raus wollen. Das ist das alte Spiel mit ein paar neu gesetzten Rahmenbedingungen.“
„Wir bleiben alle“, steht an dieser Fassade, doch viele Berliner Mieter mussten längst weg aus den attraktiven Vierteln. Weil sie ihre Mieten hier nicht mehr bezahlen können und die Politik nur halbherzig reagiert.
Dabei wird das Problem noch dringender: Denn die Bevölkerung Berlins wächst und wächst: Nach aktuellen Berechnungen sollen hier bis 2030 rund eine Viertel-Million Menschen mehr leben.
Beitrag von Jana Göbel